Was ist los mit dem Kanton Bern?

Peter Schlemihl Wrobel
Peter Schlemihl Wrobel

Bern,

Die Gründe für den Niedergang.

Das Wichtigste in Kürze

  • Vor 250 Jahren war Bern der mächtigste und reichste Staat in der Eidgenossenschaft.
  • Heute bezieht der Kanton Bern jährlich über eine Milliarde aus dem Finanzausgleich.
  • Wie ist dieser Fall des Kantons Bern zu erklären?

Während Zürich im 18. Jahrhundert stark die Industrialisierung förderte und begann grenzüberschreitenden Handel zu betreiben, schottete sich Bern ab. Während Zürich Nahrungsmittel aus dem süddeutschen Raum importierte und dafür Industriegüter exportierte, setzte Bern voll und ganz auf Selbstversorgung in der Lebensmittelversorgung. Die Folge: Grosse Teile des Staatsgebiets blieben völlig von der Landwirtschaft abhängig. Diese Auswirkungen sind bis heute spürbar.

Der Staat Bern hatte seinen Reichtum zu einem grossen Teil der Kriegswirtschaft zu verdanken. Einerseits gewährte man kriegstreibenden Fürsten Kredite, andererseits lieferte man Söldner für Kriege. Bern war bis zum Einmarsch der Truppen Napoleons im Jahr 1798 faktisch ein Diktatur weniger Patrizierfamilien. Riesige Untertanengebiete vom Aargau bis in die Waadt, die rund einem Drittel der Fläche der heutigen Schweiz entsprachen, gehörten zum Staatsgebiet. Ein Einbezug der Gewerbetreibenden in die politischen Entscheide, wie dies in Zürich durch die Zünfte vorhanden war, fehlte vollständig.

Nachfolgend sind die wichtigsten politischen Fehlentwicklungen der letzten 250 Jahre aufgeführt:

1. Abschottungspolitik, mangelnde Industrialisierung und fehlende Mitspracherechte des Gewerbes während der Patrizier-Diktatur

2. Konservative Revolution und BGB/SVP-Machtkartell mit der Finanzaffäre von 1984 als Tiefpunkt

Auch die Folgen dieses SVP-Machtkartells sind bis heute vor allem in den ländlichen Regionen des Kantons zu spüren. Auch die massive Umverteilung von den Zentren in die Randregionen ist geblieben.

1984 hat der Controller Rudolf Hafner (heute Solothurner Grossrat für die Grünliberalen) in einem Brief an den Grossen Rat die massive Misswirtschaft der Berner Finanzverwaltung aufgedeckt. So wurden beispielsweise SVP-Wahl- und Abstimmungsveranstaltungen genauso über Steuergelder finanziert wie Zuwendungen an probernische Organisationen im Jurakonflikt. Der FDP-Regierungsrat Hans Krähenbühl liess sogar seinen Jaguar mehrmals auf Staatskosten reparieren. Krähenbühl sowie der Hauptverantwortliche der Berner Finanzaffäre, SVP-Finanzdirektior Werner Martignoni, traten bei den nächsten Wahlen nicht mehr an.

Als Folge der Finanzaffäre hatte der Kanton Bern kurzzeitig (1986-1990) eine Mitte-links-Regierung. Die neu gegründete Freie Liste unter der ehemaligen FDP-Politikerin Leni Robert eroberte zwei Sitze. Wirkliche Lehren aus der Krise wurden aber nur verwaltungsintern gezogen, politisch hingegen kaum.

3. Kantonalbank-Debakel und massive Verschuldung

Gemeindefusionen: Im Kanton Bern gibt es 362 politische Gemeinden (Stand: Januar 2014). Von diesen hat über die Hälfte weniger als 1000 Einwohner und rund 10% gar weniger als 200 Einwohner. Der Kanton Bern und insbesondere der verantwortliche Regierungsrat Christoph Neuhaus (SVP) haben viel zu wenig getan um diese ineffizienten und teueren Strukturen zu verbessern und Gemeindefusionen zu fördern.

4. Fehlende und inkonsequente Reformen

Zwar konnte der Kanton Bern seine Finanzen sanieren und leitete eine Verwaltungsreform ein. Er hat es aber im vielen Bereichen – im Gegensatz zu anderen Kantonen – verpasst zukunftsweisende Strukturreformen einzuleiten. Die Verwaltungsreform mit der zweitstufigen Einteilung in 5 Verwaltungsregionen und 10 Verwaltungskreise ist zwar sicherlich effizienter als die alte Struktur mit 26 Amtsbezirken, aber letztendlich zu wenig konsequent umgesetzt. Beispiele von dringend nötigen Strukturreformen:

Christian Pfister, Hans-Rudolf Egli: Historisch-Statistischer Atlas des Kantons Bern 1750-1995, Historischer Verein des Kantons Bern, 1998

Fehlende Trennung von Kirche und Staat: Im Kanton Bern werden die Pfarrerlöhne vollumfänglich über den Staatshaushalt finanziert und nicht über die Landeskirchen resp. Kirchensteuern. Diese Absurdität beruht auf einem Vertrag von 1804 zwischen dem damaligen Staat Bern und den Kirchen. Der Staat Bern (damals in keinster Weise ein demokratischer Rechtsstaat) hat sich als Gegenleistung für die Übernahme von Kirchengütern verpflichtet die Löhne der Pfarrer zu bezahlen. Trotz der Tatsache, dass diese Kirchengüter längst abbezahlt wären, wehren sich nur die Grünliberalen gegen diese absurde, ewiggestrige Regelung.

Beat Junker: Geschichte des Kantons Bern seit 1798, Historischer Verein des Kantons Bern, 1996

Unter Napoleon wurden viele Berner Untertanengebiete befreit und die Patrizier vorerst entmachtet. 1831, nach der liberalen Revolution, erhielt Bern eine liberale, demokratische Verfassung und das allgemeine Wahlrecht für Männer wurde eingeführt. Durch eine liberalere Politik, den Bau von Eisenbahnen, die Gründung des Bundesstaats entwickelte sich nun auch der Kanton Bern. Die Zeitspanne von den 1830er Jahren bis 1920 kann als innovative und erfolgreiche Phase für den Kanton Bern bezeichnet werden. Um die Jahrhundertwende entstanden im Berner Oberland innovative Vorzeigeprojekte wie beispielsweise die Jungfraubahn, die Touristen aus aller Welt anlockten. Und die exportorientierte Uhrenindustrie im Raum Biel und im Jura boomte.

Mit der Öffnung des Kantons und der wirtschaflich erfolgreichen Entwicklung in den Städten und den Tourismusregionen waren nicht alle zufrieden. Ländlich-konservative Kreise unter dem spätern Bundesrat Ruedi Minger forderten eine Rückkehr zum Kleingewerbe und zum Bauerntum. Minger gründete 1919 die Bauern,- Gewerbe- und Bürgerpartei (BGB, Vorgängerpartei der SVP) und schon Mitte der 1920er Jahre hatte die BGB 6 von 9 Sitzen im Regierungsrat und war mit Abstand die stärkste Partei im Grossen Rat (Dies ist sie, resp. die SVP bis heute geblieben). In der Folge entstand ein konservatives Machtkartell, das geprägt war (und bis heute ist) von Vetterliwirtschaft und massiven Finanzströmen in die Landregionen. Der wirtschaftliche Aufschwung in der Wachstumsregionen des Kantons wurde dadurch abgewürgt. Anstatt sich auf ihre liberalen Grundideen zu berufen, liess sich die Berner FDP als Juniorpartner in dieses Machtkartell einspannen (ist teilweise bis heute der Fall).

Schon 1992 sorgte der nächste SVP-Finanzdirektor für ein Debakel. Die Berner Kantonalbank, die zu 52% dem Kanton gehörte, verspekulierte sich mit riskanten Anlagen, u.a. bei Pleitier Werner K. Rey, einem Vertraueten von SVP-Finanzdirektor Ueli Augsburger. Der Kanton sprang rettend ein, was den Steuerzahler insgesamt rund 1,5 Mrd. Franken kostete. Das war aber erst der Beginn der Verschuldung des Kantons Bern. Allein in der zweiten Amtszeit von Augsburger (1991-1994) verschuldete sich der Kanton um insgesamt 2,5 Mrd. Franken. Die Folgen von Augsburgers Schuldenpolitik trägt der Kanton bis heute. Seit 1998 hat der Kanton Bern seine Finanzen wieder im Griff. Mit Ausnahme von 2012 schrieb er immer schwarze Zahlen.

Zentralisierung im Gesundheits- und Bildungswesen: Insbesondere im Gesundheitswesen (Regionalspitäler) aber auch im Bildungsbereich (Fachhochschule, Berufsfachschulen) hat der Kanton Bern im Gegensatz zu anderen Kantonen die nötigen Zentralisierungen nicht zustande gebracht. Im Kanton Bern gibt es nach wie vor rund 20 Standorte für Regionalspitäler. Dazu kommen 13 Privatspitäler und mit dem Inselspital ein Universitätsspital. Gebremst haben hier vor allem die Grossräte aus den Randregionen.

Quellen:

Stefan von Bergen, Jürg Steiner: Wie viel Bern braucht die Schweiz, Stämpfli Verlag, Bern, 2012

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