Wenn ein Ja ein Nein ist: Ungewöhnliche Abstimmungsfrage in Boswil
Die Gemeinde Boswil im aargauischen Freiamt entscheidet am Sonntag in einer Referendumsabstimmung über die flächendeckende Einführung von Tempo 30. Die Abstimmungsfrage ist ungewöhnlich: Der Gemeinderat lässt darüber abstimmen, ob das Volk das von einem Tempo-30-Gegner lancierte Referendum annehmen oder ablehnen will.
Konkret führt das für die Stimmberechtigten zu dieser Frage: Wer für Tempo 30 ist, muss ein Nein auf den Stimmzettel schreiben. Wer gegen Tempo 30 ist, muss ein Ja zum Referendum schreiben.
Auf dem Abstimmungszettel der Gemeinde steht: «Wollen Sie dem Referendum gegen den Beschluss 'Verpflichtungskredit: Einführung von flächendeckend Tempo 30' mit zwei Änderungsanträgen vom 27. November zustimmen (JA/NEIN)?»
In der Erläuterungen machte der Gemeinderat darauf aufmerksam: «Es gilt zu berücksichtigen, dass über das Referendum abgestimmt wird.»
Ungewöhnliche Formulierung
In einer Referendumsabstimmung jedoch wird üblicherweise über eine umstrittene Vorlage, zum Beispiel über einen Kredit, entschieden. Wer dafür ist, stimmt Ja – und wer dagegen ist, schreibt Nein.
Die Gemeindeversammlung von Boswil hatte im November einen Verpflichtungskredit für die «Einführung flächendeckend Tempo 30» mit zwei erweiterten Gebieten gutgeheissen. Der Entscheid fiel mit 129 Ja- zu 57-Nein-Stimmen.
Gegen diesen Entscheid ergriff eine Privatperson mit gültigen Stimmen das Referendum. Er erreichte auf diese Weise, dass das Stimmvolk über das Thema in einer Urnenabstimmung entscheiden kann.
Verteidigung der Abstimmungsfrage
Die Gemeinde Boswil verteidigt die Abstimmungsfrage. «Die Lehre und Rechtsprechung vertritt heute die Haltung, wonach sich der Informationsauftrag der Abstimmungsfrage auf die eindeutige Bezeichnung des vorgelegten Beschlusses beschränkt», schrieb Gemeindeschreiber Roger Rehmann in einer Stellungnahme.
«Wir sind der Meinung, dass wir dieser Haltung aufgrund der gestellten Abstimmungsfrage nachkommen.» Man sei sich der Problematik mit der Fragestellung jedoch bewusst.
Aus diesem Grund habe man den Stimmberechtigten mittels eines Textes in der Botschaft zur Abstimmung aber auch mittels Publikationen im Gemeindeblatt darauf hingewiesen. «Demnach erachten wir unsere Fragestellung als eindeutig und transparent», hielt Rehmann fest.
Kantonales Departement äussert sich
Das kantonale Departement Volkswirtschaft und Inneres (DVI) hielt fest, das kantonale Recht enthalte keine explizite Regelung, wie eine Abstimmungsfrage zu formulieren sei.
Aus der Verordnung zum Gesetz über die politischen Rechte ergebe sich einzig, dass die Stimm- und Wahlzettel so zu gestalten seien, dass die sachgerechte Willensäusserung gewährleistet sei.
Aus der bundesgerichtlichen Rechtsprechung folge zudem, dass die Abstimmungs- und Wahlfreiheit den Stimmberechtigten einen Anspruch auf eine klare und korrekte Abfassung der Abstimmungsfrage verleihe.
Das Bundesgericht habe indes auch schon erkannt, dass die Abstimmungsfrage für sich alleine keine Gewähr für eine irrtumsfreie Information biete. Von den Stimmberechtigten müsse vielmehr erwartet werden, dass sie sich aufgrund der ihnen zugestellten Unterlagen informieren würden.
Mögliche Ungültigkeit
Allerdings besteht laut DVI die Möglichkeit, dass die kommunale Abstimmung bei einer Beschwerde im Nachgang für ungültig erklärt werden könne. «Es ist nicht auszuschliessen, dass die Abstimmung im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens für ungültig erklärt würde», hiess es. Die Gemeindeabteilung der DVI schreite aber nicht von sich ein.