Wohnungsnot in Zürich: Mietende appellieren an Stadtpräsidentin
Eine Gruppe Mietender kritisiert die Haltung der Stadt gegenüber Menschen, die aus ihrem Quartier verdrängt werden – in einer Videonachricht an Corine Mauch.
Das Wichtigste in Kürze
- Einige Mieterinnen und Mieter wenden sich verärgert an Zürichs Stadtpräsidentin Mauch.
- Auslöser waren Interview-Aussagen von zwei Mitgliedern der städtischen Verwaltung.
- Die Gruppe wünscht sich, dass das Ziel «einer Stadt für alle» verteidigt wird.
Es brauche viel Mut, öffentlich zu widersprechen, schreibt eine Gruppe von 15 Mietender. Doch die Wut scheint gross. In einem Brief und einer Videonachricht wendet sie sich an die Stadtpräsidentin Corine Mauch.
Darin zeigt man sich enttäuscht über die Haltung der Verantwortlichen bei der wachsenden Wohnungsnot in Zürich und erwartet genaueres Hinschauen von der Stadt.
Auslöser für die Aktion war ein Interview mit den Direktorinnen Anna Schindler von der Stadtentwicklung und Katrin Gügler vom Amt für Städtebau, das Mitte Juli auf «Tsüri.ch» publiziert wurde. Das Thema sei bloss medial aufgekocht, sagte Schindler im Gespräch.
Dass die Stadt von einer Wohnungsknappheit und nicht von einer Wohnungsnot spreche, sei ein Affront an jene Menschen, welche die Stadt verlassen müssten, so die verärgerten Mietenden.
Lückenhafte Zahlen zu Wegzügen
Auch sei eine Auswertung der Stadt zu Weg- und Umzügen nicht nachvollziehbar. Gemäss dieser müssen nur 30 Prozent aller Mietenden aus der Stadt wegziehen. «Wir gehen davon aus, dass Anna Schindler die gesamtstädtischen Zahlen zu den Umzügen nach Leerkündigungen verwendet hat. Betrachtet man hingegen alle Um- und Wegzüge in der ganzen Stadt, berechnen wir für das Jahr 2023 eine höhere Wegzugrate von 49 Prozent», kritisiert die Gruppe.
Dass Schindler mit diesen Zahlen die Verdrängung relativiere, sei ein Schlag in die Magengrube. «Da versucht uns die höchste Verwaltungsebene zu erklären: Es sei völlig egal, wenn 30 Prozent aller Umziehenden die Stadt verlassen müssen, weil sie es sich nicht mehr leisten können, hier zu leben. Geht's noch?», empören sich die Mietenden.
Ein Drittel sei ein Drittel zu viel. Deshalb verlangt man von der Stadt Antworten: Wer sind diese 30 Prozent: Wie viele davon noch Kinder, wie viele pensioniert? In welchen Berufen arbeiten die Wegziehenden? Gibt es Betroffene, die kurz vor der Einbürgerung stehen und dringend in der gleichen Gemeinde wohnen bleiben müssen?
Kollektive Kritik
Auch in Schwamendingen werden Menschen ihr Zuhause verlassen müssen. Der Stadtteil stand in der jüngsten Vergangenheit vermehrt in den Medien, weil im Zuge der Autobahneinhausung viele grosse Überbauungen ersetzt werden. In den kommenden Jahren wird sich die Demografie verändern, denn durch die Neubauten werden auch die Mieten steigen.
Trotzdem habe die Stadt bisher keine Verdrängung beobachten können, so die Direktorinnen im Interview. In Schwamendingen sei die Situation besser als anderswo: 40 Prozent könnten demnach im Quartier bleiben.
Doch diese Zahl stamme aus dem Ergänzungsbericht Überlandpark, der sich lediglich mit den Grundstücken direkt neben der Einhausung sowie einem leicht ausgeweiteten Einzugsgebiet beschäftigt, jedoch keine Rückschlüsse auf das gesamte Quartier zulassen würde, so die Kritik der Mietenden.
Viele von ihnen hätten eigene Erfahrungen mit der Situation im Quartier gemacht, selbst Kündigungen erhalten oder andere dabei unterstützt, eine neue Bleibe zu suchen, so eine der Verfasserinnen auf Anfrage.
Obwohl sich einige von ihnen im Video mit Gesicht zeigen, will man als kollektive Stimme aller Mietenden in Zürich wahrgenommen werden.
Mut habe es trotzdem gebraucht – und diesen fordern sie auch von Corine Mauch: «Wir appellieren an Sie, dass Sie das Ziel einer Stadt für alle mit uns zusammen verteidigen.»
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Hinweis: Dieser Artikel ist zuerst bei «Tsüri.ch» erschienen. Autorin Isabel Brun ist Redaktorin beim Zürcher Stadtmagazin.