Amir P. (20) ist vor sechs Jahren aus Afghanistan in die Schweiz geflüchtet. Hier schreibt er von seiner Flucht – und seinem neuem Leben. Ein Gastbeitrag.
Gastbeitrag
Amir P. (20) aus Afghanistan erzählt bei Nau.ch, wie er sich in der Schweiz integriert hat. - zVg / keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Der Afghane Amir P. (20) lebt nun seit sechs Jahren in der Schweiz.
  • Auf Nau.ch schildert er seine Flucht und seine Erfahrungen in der Schweiz.
  • Amir P. absolviert mittlerweile in Zürich eine Lehre als Fachmann Betreuung EFZ.
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Mein Name ist Amir P. Ich bin 20 Jahre alt, komme aus Afghanistan. Seit sechs Jahren lebe ich nun in der Schweiz. Ich schildere hier in meinem Gastbeitrag die Geschichte meiner Flucht. Ich schreibe anonym, weil ich keine Aufmerksamkeit suche. Ich möchte auch kein Mitleid, sondern aufzeigen, dass eine tragische Geschichte auch positiv enden kann.

Wegen Krieg und Unsicherheit bin ich mit 14 Jahren aus Afghanistan geflüchtet. Schon damals hatten die Taliban Macht, brachten viel Unruhe ins Land. Beim Brot holen wussten wir jeweils nicht, ob wir wieder heil nach Hause kommen. Wir mussten weg, es gab keine andere Lösung.

Gemeinsam mit meiner Familie sind wir tagelang zu Fuss durch die Berge nach Pakistan gewandert. Danach weiter in den Iran. Es ging um Leben und Tod: Wir sahen immer wieder Leichen am Wegrand. Die Soldaten dort sind für mich keine Menschen. Wie kann man jemanden einfach töten, wenn dieser nicht mal eine Flasche Wasser bei sich trägt?

In der Türkei habe ich meine Familie verloren

Dann ging es weiter in die Türkei. Dort habe ich meine Familie verloren. Die Schlepper teilten uns auf Schlauchboote auf. Mich brachten sie alleine auf das zweite Schiff. Sie sagten, das mache keinen Unterschied. Seither habe ich meine Familie nie mehr gesehen.

Flüchtlinge
Das von der Seenotrettungsorganisation Sea-Eye herausgegebene Foto vom Mittwoch zeigt Seenotretter der «Alan Kurdi» vor einem Schlauchboot voller Flüchtlinge. Foto: Pavel D. Vitko/Sea-Eye - dpa-infocom GmbH

Bei der Ankunft habe ich auf meine Familie gewartet. Vergeblich. Eine Gruppe von Afghanen, die auf dem gleichen Boot war wie ich, hat mich dann mitgenommen.

Wir reisten monatelang weiter über Mazedonien, Slowenien, Kroatien, Österreich bis nach Deutschland. Dort hatte ich Glück: Die freundliche Gruppe kaufte mir ein Zug-Billett in die Schweiz, bevor sie selbst weiterreiste.

An der Schweizer Grenze wurde ich dann festgenommen. Alleine, mit 14 Jahren. So hat mein neues Leben angefangen.

So kam ich in die Schweiz

Ich landete in der Flüchtlingsunterkunft in Zürich. Ich war oft allein. Freunde zu finden war ein schwieriges Unterfangen. Es braucht Zeit, jemandem zu vertrauen, wenn man nur den Krieg kennt. Ich vermisste meine Familie. Es blieb mir keine andere Wahl, als nach vorne zu schauen. Ich absolvierte Deutschkurse, lernte rasch in der Schule.

Mit 16 Jahren hatte ich das Glück, eine ältere Frau kennenzulernen. Ich konnte einmal pro Woche bei ihr vorbeigehen. Sie half mir bei den Hausaufgaben und kochte für mich. Ich war und bin ihr dafür unglaublich dankbar.

Flüchtlinge
Eine Flüchtlingsunterkunft in Deutschland. - Keystone

Schliesslich fragte sie mich sogar, ob ich bei ihr wohnen möchte. Das war vor über drei Jahren. Heute nenne ich sie «Mami». Wir haben ein sehr enges Verhältnis, auch wenn ich mittlerweile in einer WG wohne. Dank Mami habe ich Sprache und Schweizer Kultur gelernt. Mittlerweile spreche ich fliessend Züridütsch.

«Ich muss manchmal weinen vor Freude»

Ich gebe mir Mühe, mich optimal zu integrieren, will meine Chance packen. Jetzt bin ich im zweiten Lehrjahr als Fachmann Betreuung EFZ. Ich arbeite mit Kindern unter fünf Jahren, will mich aber in Zukunft weiterbilden, um Jugendlichen in schwierigen Situationen helfen zu können.

Ich will auch Leuten helfen, die schwierige Schicksal überwinden müssen. Wenn ich daran denke, an welcher Stelle ich war und wo ich heute bin, weine ich manchmal vor Freude.

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Es ist aber unmöglich, meine Vergangenheit zu vergessen oder zu verdrängen. Das Rote Kreuz versucht noch immer, meine Familie zu finden. Früher habe ich alle sechs Monate ein Update gekriegt. Das war schwierig für mich. Ich verzichte nun darauf. Ich suche aber weiterhin in den Medien nach ihnen. Leider bisher vergeblich.

Die Vergangenheit lässt mich nicht los

Zu Beginn hatte ich Mühe, mich in der Schule zu konzentrieren, weil ich dauernd darüber nachdenken musste, was ich in Afghanistan und auf der Flucht erlebt habe. Ich brachte die schrecklichen Gedanken nicht aus meinem Kopf.

Als ich eineinhalb Jahre in der Schweiz war, ging ich an Silvester beim Üetliberg joggen. Schon tagsüber zündeten die Leute mit Feuerwerk. Das hat mir schrecklich Angst gemacht. Ich dachte: Jetzt ist hier auch der Krieg ausgebrochen! Solche Gedanken hab ich auch, wenn ich Helikopter oder Militärjets sehe.

Militärflugzeug
Ein schweizerisches Militärflugzeug beim Jubiläum des Flugplatz Payerne - keystone

Wenn es hier solche lauten Geräusche gibt, wissen die Leute, dass sie in Sicherheit sind. In Afghanistan waren es aber die Bomben. Wir hatten ständig den Tod vor Augen.

Daran denken viele nicht, wenn sie über Flüchtlinge sprechen, wie kürzlich über die Afghanen in Wil SG. Wer will schon sein ganzes Hab und Gut verkaufen? Monate- oder gar jahrelang mit kleinen Kindern auf der Flucht sein?

Wir mussten aber fliehen, damit wir schon nur einen Tag länger leben konnten.

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