Daniel Koch: «Russische Bomben verletzen Psyche von Bevölkerung»
Daniel Koch ist ab sofort neuer Nau.ch-Kolumnist. In seiner ersten Kolumne schreibt er über das Seelenleid der Ukrainer.
Das Wichtigste in Kürze
- Ein aggressiver Angriff schadet der Psyche genauso wie dem Körper.
- Wegen des Angriffskriegs Russlands muss das ganze ukrainische Volk solches Leid ertragen.
- Diese Aggression ist «unentschuldbar», sagt der neue Nau.ch-Kolumnist Daniel Koch.
Vor zwei Wochen habe ich mir beim Training mit meinen Hunden das Schlüsselbein gebrochen. Mit dem Fatbike auf dem Eis ausgerutscht und «bumm».
Dumm gelaufen und es tat etwas weh, aber alles erträglich.
Schon vor zwei Jahren habe ich mir bei einem ähnlichen Training auf den Langlaufski das Schlüsselbein gebrochen. Einmal links und einmal rechts. Also habe ich nichts dazugelernt? Wahrscheinlich.
Offensichtlich ist es für die Psyche nicht so schlimm, wenn ein Unfall passiert, den man selber verschuldet.
Es ist für den Kopf ein grosser Unterschied, wenn niemand oder nur das Schicksal an einem Unglück die Schuld trägt. Unser geistiges Wohlbefinden leidet kaum.
Aggression steigert Verletzungsempfinden
Werden wir aber Opfer einer Aggression, die jemand absichtlich ausführt, dann wird vor allem unsere Psyche verletzt.
Wie gross die Aggression ist, spielt oft gar keine so wichtige Rolle – ausschlaggebend ist unser Empfinden: Wir fühlen uns als Mensch, als Person angegriffen und verletzt. Die Aggression kann klein sein, ein Bashing, eine Beleidigung, das Entreissen einer Handtasche.
Es muss nicht eine Messerstecherei, eine Vergewaltigung oder ein Angriff auf das Leben sein, damit wir uns verletzt fühlen.
Das psychische Leiden wird häufig unerträglich, wenn die Aggression bewusst von Personen ausgeht und wir die Gewalt als sinnlos und ungerecht empfinden.
Nur geistig gestörten Menschen kann es ein Vergnügen sein, bewusst anderen Leid und Schmerz zuzufügen. Unsere Gefühle werden dann am stärksten verletzt, wenn wir wissen, dass jemand absichtlich schaden will.
Noch schlimmer wird es, wenn dann die Schuld dem Opfer zugeschoben wird. «Hätten Sie doch eine bessere Alarmanlage in ihrem Haus eingebaut» ist nach einem Einbruch kein Trost, kein guter Ratschlag und zeugt auch nicht von Mitgefühl.
Es wird ganz einfach dem Opfer die Schuld zugeschoben – «blaming the victim».
Russland sorgt für täglichen psychischen Terror in der Ukraine
Und jetzt stellen Sie sich vor, man versucht eine ganze Bevölkerung, eine ganze Nation psychisch und moralisch zu zerstören.
Stellen Sie sich vor, eine fremde Macht greift Ihre Wohnung an, überfällt Ihr Zuhause. Und genau das geschieht jeden Tag in der Ukraine – Russland greift täglich die Ukraine an.
Die Bomben richten nicht nur materiellen Schaden an und töten Menschen, sondern sie verletzen vor allem die Psyche einer ganzen Bevölkerung. Dieses Leiden ist unerträglich. Die Welt muss mit allen Mitteln versuchen, diese Aggression zu stoppen.
Jeder Einzelne und jede Nation verschlimmern das Leiden noch zusätzlich, wenn versucht wird, die Schuld des Krieges bei der Ukraine zu suchen.
Russischer Angriff unentschuldbar
Wenn der russische Präsident in seinem psychischen Wohlbefinden gestört wurde, weil sein altes Weltbild der Sowjetunion zusammenbrach, dann war das wohl Schicksal.
Niemand wollte absichtlich mit der Beendigung des Kalten Krieges seine Person angreifen.
Er hat jedoch mit der Absicht, die Welt mit Waffengewalt umzukrempeln, darauf reagiert. Das ist unentschuldbar und darf nicht akzeptiert werden.
Nur in einer freien, demokratischen Welt wird es gelingen, den Weltfrieden nachhaltig zu sichern und das psychische Wohlbefinden jedes Einzelnen möglich zu machen.
Zum Autor: Daniel Koch war zwischen 2008 und 2020 Leiter der Abteilung Übertragbare Krankheiten beim Bundesamt für Gesundheit (BAG). Er ist der Öffentlichkeit als «Mister Corona» bekannt und schreibt nun regelmässig Kolumnen auf Nau.ch. Koch lebt im Kanton Bern und hat im letzten Jahr die Ukrainerin Natalia geheiratet.