Es ist wirkungslos, mehr Geld in Schulen zu geben!
Das Unterrichten in Schulen funktioniere nur noch mit Androhen von Prüfungen und Belohnungssmileys. Wie soll es weitergehen? Eine Kolumne von Clarita Kunz.
Das Wichtigste in Kürze
- 20 Prozent (!) der Kinder und Jugendlichen erreichen die grundlegendsten Lernziele nicht.
- Die Arbeit der HeilpädagogInnen verkomme zu einer Sisyphusaufgabe.
- Eine Kolumne von Pädagogin und Buchautorin Clarita Kunz.
Wer sich für eine Wahl aufstellen oder wer wiedergewählt werden möchte, tut gut daran, mehr finanzielle Ressourcen für Schulen zu fordern. Dies ist äusserst populär, sprich mehrheitsfähig, obschon sich seit Langem zeigt: Mehr Geld in die Schulen zu geben, ist wirkungslos!
Mehr Lehr- beziehungsweise mehr Betreuungspersonen, mehr Therapien und mehr Nachhilfestunden vermögen nichts an der Tatsache zu ändern, dass 20 Prozent (!) der Kinder und Jugendlichen die grundlegendsten Lernziele nicht erreichen.
Schülerinnen und Schülern sowie Lehrpersonen sind gleichermassen frustriert. Das Unterrichten funktioniert nur noch mit Androhen von Prüfungen, mit Strichlisten und Belohnungssmileys.
Hauptsache, die Schüler sind schnell fertig
Wer ein Schulzimmer betritt, sieht zwar, dass gearbeitet wird: Die Schüler wollen die Wochenpläne möglichst schnell abarbeiten. Viele Lernende schreiben Ergebnisse bei ihren Kollegen und Kolleginnen ab.
Zu viele verstehen vom Thema überhaupt nichts – Hauptsache, sie sind schnell fertig und haben mehr Freizeit. Mit intrinsischem, nachhaltigem Lernen hat dieser Aktivismus nichts gemein.
Auch die Lehrpersonen stöhnen
Kinder, die ein Thema nicht verstehen, werden therapiert und hinken in der nachfolgenden Woche erneut hinterher. Nicht weil sie zu dumm sind, sondern weil sie länger als andere brauchen, um bestimmte Themen zu verstehen.
Die Arbeit der Heilpädagoginnen und Heilpädagogen verkommt zu einer Sisyphusaufgabe. Wen wunderts, dass immer weniger Menschen diesen Beruf erlernen wollen?
Auch die Lehrpersonen stöhnen, denn neu unterrichten in den Klassen nicht nur sie zusammen mit Heilpädagogen, Senioren und Seniorinnen, sondern auch mit immer mehr Klassenassistenzen. Diese verdienen zwei Drittel so viel wie sie.
Als Voraussetzung, um zu unterrichten, brauchen diese gerade mal «eine gute Allgemeinbildung» und «Freude im Umgang mit Kindern und Jugendlichen». Allein in der Stadt Zürich wurden für das nächste Schuljahr soeben 36 neue Stellen bewilligt!
Auch der Massnahmenkatalog ufert immer mehr aus. Faktisch lernen Kinder nicht mehr – trotz immer teurer werdenden Massnahmen. Deshalb ist die Schule nicht nur aus pädagogischer, sondern auch aus ökonomischer Sicht das ineffizienteste Unternehmen der Welt!
Inklusion kann so nicht gelingen
Der Schulpsychologische Dienst hat immer mehr zu tun. Heilpädagoginnen und Heilpädagogen müssen Kinder nach einer Abklärung ohne oder mit Lernzielanpassungen unterstützen.
Statt Lernenden zu ermöglichen, im eigenen Tempo zu lernen, wird der Lernstoff inklusive Prüfungen ihren Lücken angepasst. Das heisst, sie müssen weniger und einfachere Aufgaben lösen.
Ein Riesenaufwand, mit dem ein enormes Leid bringende Stigmatisierung einhergeht. Die Heilpädagogen sind auch noch mit Kindern gefordert, die einen Nachteilsausgleich erhalten. Immer mehr Kinder können mit dieser Diagnose die Sek A schaffen.
Dies ist völlig absurd, denn es kann sein, dass eine Lese-/Rechtschreibschwäche so nie richtig angegangen wird und dass diese Kinder den begabteren den Platz in der Sek A wegnehmen.
Und dann sind da auch noch die schulisch Hochbegabten. Und die sprachlich Benachteiligten. Inklusion kann so nicht gelingen!
Wann werden genügend Menschen erkennen: Es gibt zu viele Schülerinnen und Schüler, die in zu vielen Lektionen über- oder unterfordert sind. Zu viele erhalten Stempel aufgedrückt.
Bessere Schulleistungen wären aus ökonomischer Sicht zu begrüssen
Insbesondere der Fakt, dass die Lernziele in den kulturtechnisch bedeutenden Fächern Deutsch und Mathematik von so vielen Jugendlichen trotz horrender Ausgaben nicht erreicht und besonders begabte Kinder und Jugendliche gebremst werden, sollte zu denken geben.
Bessere Schulleistungen wären auch aus ökonomischer Sicht zu begrüssen. Ernst Fehr, österreichisch-schweizerischer Wirtschaftswissenschaftler, schreibt: «Gelänge es jene 13 Prozent der Schweizer Schüler, die im PISA-Test unter 400 Punkten liegen, über diese Ungenügend-Grenze anzuheben, brächte dies in den nächsten 80 Jahren einen Wohlfahrtsgewinn von 1000 Milliarden Franken.
Damit sind Investitionen in die Förderung unserer Kleinsten sogar rentabler als Investitionen am Kapitalmarkt.» Dem Cover meines Sachbuchs «Schule als Leistungsbremse» entsprechend fordere ich zusammen mit namhaften Persönlichkeiten wie dem leider verstorbenen Remo Largo und Gerald Hüther: «In der zukunftstauglichen Schule sollen Schülerinnen und Schüler in den Fächern Deutsch und Mathematik zeitlich unbegrenzt, also auch Schuljahr-übergreifend, im selbstgewählten Tempo arbeiten dürfen. Klassen mit Gleichaltrigen sollen nicht mehr zur gleichen Zeit zum gleichen Thema Prüfungen schreiben müssen. Damit würde mehr Potenzial ausgeschöpft, die Lernfreude bliebe erhalten und es bräuchte weniger Massnahmen. Nicht mehr nur vier Fünftel, alle (!) würden die grundlegendsten Lernziele erreichen und die Begabten würden nicht mehr gebremst.»
Zur Autorin: Clarita Kunz ist Pädagogin, Autorin und seit 2021 Kolumnistin bei Nau.ch