Felix Brun: Felix Ludwig Calonder und die Neutralität der Schweiz

Felix Brun
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Bern,

Der Ex-Bundesrat Felix Ludwig Calonder trug massgeblich zum Beitritt der Schweiz in den Völkerbund bei. Eine Analyse von Europa-Wissenschaftler Felix Brun.

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Felix Brun spricht während seiner Buchvernissage zum Publikum. - zVg

Das Wichtigste in Kürze

  • Europa-Experte Felix Brun kommentiert Texte bedeutender Schweizer Persönlichkeiten.
  • In diesem Artikel befasst er sich mit dem ehemaligen Bundesrat Felix Ludwig Calonder.

Lange Zeit wird der Bündner Politiker Felix Ludwig Calonder fast nur in seinem Heimatkanton Graubünden wahrgenommen, wo er sich der touristischen Erschliessung des Kantons und dem Ausbau der Transportwege widmet.

Als vor und während dem Ersten Weltkrieg aber die inneren Spannungen in der Schweiz immer grösser werden, wählt das Schweizer Volk Calonder 1913 als Brückenbauer und als ein Mann mit Kenntnissen in allen vier Landessprachen in den Bundesrat.

Seine Aufgabe: Die Schweiz innenpolitisch zu einen und aussenpolitischen Bedrohungen die Stirn zu bieten. Seine Lösung: Ein Beitritt der Schweiz zum Völkerbund.

Schweizer stimmen für Beitritt zum Völkerbund

Am 16. Mai 1920 stimmen die Schweizer Stimmbürger für einen Beitritt der Schweiz zum neu geschaffenen Völkerbund und sorgen damit für die bis anhin grösste Anerkennung der politischen Arbeit Felix Calonders, der sich bereits zwei Jahre zuvor in einer Rede vor der Bundesversammlung klar für den Beitritt ausgesprochen hatte.

Ausgerechnet der Kanton Graubünden hat bei der Abstimmung das entscheidende Zünglein an der Waage gespielt: Als letzter Kanton vollständig ausgezählt, sorgt der Kanton mit dem Ja zum Völkerbund für das nötige Ständemehr.

Dass sich Calonder während des Krieges und auch danach vehement für einen Beitritt der Schweiz zum Völkerbund einsetzen wird, war um die Jahrhundertwende nicht vorauszusehen.

Die Neutralität der Schweiz bewahren

In seiner Dissertation über das Wesen der Schweizerischen Neutralität – eingereicht im Jahre 1890 beim bekannten Völkerrechtler Carl Hilty – finden wir einen Calonder, der die heute schon fast klischiert wirkenden Ansichten eines Grossteils der damaligen Schweizerischen Bevölkerung teilt: Nach der Niederlage bei Marignano 1515 sehen viele Zeitgenossen Calonders die einzig richtige Schweizerische Aussenpolitik als eine Politik ausserhalb des «unfruchtbaren Feldes internationaler Politik», wie Niklaus von Flüe einmal mahnend erinnert hatte.

Niklaus von Fluee
Ein Bild von Bruder Klaus im Wohnhaus des Bruder Klaus vor der Gedenkfeier 600 Jahre Niklaus von Fluee am 19..08.17 in Flueeli-Ranft OW. - Keystone

Der Bewusstseinswandel Calonders bezüglich des Feldes internationaler Interessen, das Einschwenken also auf eine aktive Aussenpolitik im Völkerbund gut 25 Jahre später, lässt sich aber schlüssig erklären: Dieser Wandel erwächst aus der Erkenntnis, dass sich die Schweiz bei grossen aussenpolitischen Bedrohungen nicht einigeln darf, sondern sich aktiv um Mitsprache und Geltung bemühen muss, möchte sie ihre Anliegen auf internationaler Ebene durchbringen.

Felix Ludwig Calonder und die Obersten-Affäre

Diese Einsicht wiederum beruht auf einer ganz persönlichen Erfahrung Calonders. Keine zwei Jahre im Amt als Bundesrat, sieht sich Calonder 1915 in der sogenannten «Obersten-Affäre» mit der grundsätzlichen Frage konfrontiert, ob es gescheiter sei für die Schweiz, sich bei schwierigen Auseinandersetzungen zu ducken und stillzuhalten, oder ob sie in die Offensive schreiten soll und so aktiv zur Beilegung eines Konfliktes beitragen soll.

Calonder entscheidet sich – während seine Kollegen im Bundesrat zögern und abwarten – für die letztere der beiden Optionen und fordert die unverzügliche Freistellung der beiden in die Affäre involvierten Obersten Egli und von Wattenwyl. Endlich, so scheint es, erwacht der «Feuergeist» Calonder aus seinem Dornröschenschlaf.

Mit dem Eingreifen wandelt sich endlich auch sein Bild der Schweiz in Europa. Er realisiert, dass Neutralität nicht politische Apathie ist, dass die Erhaltung der Schweizer Neutralität nicht die Abwendung von der Aussenpolitik im Sinne Niklaus von Flües bedeuten kann.

Schweizerische Aussenpolitik ist eine Gratwanderung, das erkennt Calonder in diesen Tagen. Die eigenen Interessen müssen genauestens mit den Interessen der umliegenden Grossmächte austariert werden. In der Isolation ist die Verteidigung der Neutralität nicht möglich. Neutralität ist eine Verpflichtung zur Tat.

Völkerbund Genf
Das Haus des Völkerbundrates in Genf, aufgenommen im Jahr 1931. - Bundesarchiv

Den aussenpolitischen Enthusiasmus hält Calonder auch nach der Oberstenaffäre aufrecht, es gelingt ihm und seinen Ministern sogar, den Völkerbundssitz nach Genf in die Schweiz zu holen. Selten zuvor und danach hat die Schweiz in Europa ein derart hohes Ansehen genossen wie in jenen Jahren, als sie als Mitglied des Völkerbundes und die Stadt Genf als dessen Hauptsitz die internationale Politik entscheidend mitgestalten konnte.

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«Sprechen wir über Europa»

Im Rahmen dieser Serie gibt Felix Brun, Journalist und wissenschaftliche Mitarbeiter bei der Neuen Europäischen Bewegung Schweiz, Abschnitte aus seinem Buch «Sprechen wir über Europa» preis. Dieses behandelt zehn Reden und Texte von bedeutenden Schweizer Persönlichkeiten, die die Überlegungen zum Verhältnis der Schweiz zu Europa wiederspiegeln.

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