Felix Brun: Lukas Bärfuss und Europa als Ort der Aufklärung
Lukas Bärfuss warnt vor der Abschottung der Schweiz und feiert die Vielfältigkeit. Eine Analyse von Europa-Wissenschaftler Felix Brun.
Das Wichtigste in Kürze
- Europa-Experte Felix Brun kommentiert Texte bedeutender Schweizer Persönlichkeiten.
- In diesem Artikel befasst er sich mit dem Autor Lukas Bärfuss.
«Kein Mensch ist eine Insel». Was Eva in «Meienbergs Tod» des Autors Lukas Bärfuss über den Journalisten Niklaus Meienberg sagt, gilt auch für die Schweiz. Akribisch untersucht Bärfuss in seinen Texten die Schweizer Befindlichkeiten.
Etwa die Lust an der Ordnung oder auch den Willen zum Rückzug, zur Abschottung. Dass diese Abschottung auch tödlich sein kann, darauf weist der Autor in seinen Stücken und Romanen immer wieder hin.
Für Lukas Bärfuss ist der Mensch vor allem etwas: Er ist vielfältig, mehr noch: jeder Mensch ist einzigartig. «Die Matura ist vielleicht nichts Besonderes», erklärt er als Redner einmal an einer Maturfeier. «Aber Sie, Sie sind etwas Besonderes. Jede und Jeder von ihnen ist einzigartig [...] Sie können sich darauf verlassen, Sie sind einzigartig Punkt.» Der Mensch also ist einzigartig in seiner Vielfalt.
Dass diese Vielfältigkeit auch zu Konflikten führt, ist nicht zu bestreiten. Lukas Bärfuss entlarvt aber noch eine andere Gefahr. Ist der Mensch nicht mehr fähig, mit seiner Vielfältigkeit umzugehen, wird er gefährlich.
Und ist er bereit, seine Vielfältigkeit als einen Makel anzusehen, den es zu eliminieren gilt, dann wird der Mensch tödlich.
Die Anpassung als Negative in Lukas Bärfuss' Texten
Die Anpassung, die Leere, das Lauwarme, die Gemütlichkeit: Immer wieder streben die Figuren in Bärfuss’ Texten danach. Dem widerspenstigen Tony werden mittels eines chirurgischen Eingriffs des Autors im Stück Zwanzigtausend Seiten kurzerhand alle schlechten Seiten wegoperiert.
«Wir konnten die Seiten, die Tony belastet haben, entfernen und durch solche ersetzen, mit denen er sein Leben erfolgreich gestalten kann», erklärt die Therapeutin der Leserin, dem Leser jetzt nüchtern. Der Makel gilt nicht mehr als Spezialität, sondern als störendes Geschwür.
Der Mensch wird also für seine Vielfältigkeit angreifbar, er stört in seiner Vielfältigkeit, er ist eine Provokation. Jetzt zieht sich der Mensch zurück, enttäuscht von seinen Mitmenschen und enttäuscht von sich selber.
Rückzug der Schweiz gleich Stillstand
Lukas Bärfuss ist ein Chroniker dieses Rückzugs, ein Chroniker des Schweizerischen Stillstands. Manchmal lässt er seine Figuren ausbrechen aus diesem Rückzug, doch meistens gehen sie zugrunde daran. Die vereinsamten Menschen irren umher und kommen sich abhanden.
Einer der einsamsten Menschen in Bärfuss’ Stücken ist Parzival im gleichnamigen Stück. Die Welt, in der dieser Parzival aufwächst, ist zu einer seelischen Wüste verkommen. Alles Schöne ist in dieser Welt vernichtet, oder es wird gerade vernichtet, von Parzivals eigener Mutter: «Geht. Tötet alle Vögel», beauftragt sie die Bauern, Parzival «soll nicht sehnsüchtig sein.»
Wenn wir unsere Konflikte, unsere Vielfältigkeit nicht mehr diskutieren können, dann greifen wir zur Gewalt. Lukas Bärfuss zeigt in seinen Stücken auf, warum «am Ende der Sprache», am Ende des Theaters, der Tod lauert: Gewalt ist die einfachste aller Lösungen, einen Konflikt lösen zu können.
Hier tut sich ein Raum auf, man überlegt sich, wie eine andere Welt aussehen könnte. Eine blühende, farbige Welt, in der Konflikte Platz haben, in der miteinander diskutiert und gesprochen wird.
Kurz vor den nationalen Wahlen 2015 fordert Bärfuss die Schweizer dazu auf, endlich die anstehenden Probleme mit Europa zu besprechen. Nach der Veröffentlichung seines Texts «Die Schweiz ist des Wahnsinns» wird er von rechtskonservativer Seite aufs Heftigste persönlich angegriffen.
Pedro Lenz, Schriftsteller aus Olten, hat das kommen sehen und Lukas Bärfuss in einem offenen Brief gewarnt: «Ich warne dich vor der Rache derer, die du herausforderst. Es gibt nichts gratis bei uns, nicht einmal die Gratispresse ist gratis. Sie werden dich plagen. [...] Auf dich als Person werden sie zielen, plump, aber böse [...].»
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«Sprechen wir über Europa»
Im Rahmen dieser Serie gibt Felix Brun, Journalist und wissenschaftliche Mitarbeiter bei der Neuen Europäischen Bewegung Schweiz, Abschnitte aus seinem Buch «Sprechen wir über Europa» preis. Dieses behandelt zehn Reden und Texte von bedeutenden Schweizer Persönlichkeiten, die die Überlegungen zum Verhältnis der Schweiz zu Europa wiederspiegeln.
Heute Donnerstag veranstaltet die NMS Bern ein Europapodium mit Lukas Bärfuss, Tabea Stein und Felix Brun.