Flavia Wasserfallen (SP) äussert sich zum Frauenstreik
Das Wichtigste in Kürze
- Der Frauenstreik findet am 14. Juni 2019 statt.
- Schweizer Politiker äussern sich in der Rubrik «Stimmen der Schweiz» dazu.
Frauenstreik 1991, Freitag 14. Juni – ich war 12 Jahre alt und habe auf unserem Pausenplatz in Hinterkappelen einen violetten Ballon in die Luft steigen lassen. Wir durften einen Zettel dran hängen und einen Wunsch drauf schreiben. Leider kann ich mich nicht mehr daran erinnern, was ich mir gewünscht habe, bin mir aber ziemlich sicher, dass es entweder eine Frau im Bundesrat oder ein Mädchen-Fussballteam beim SC Wohlensee war.
Zwei Jahre später haben sich die bürgerlichen Männer im Parlament geweigert, Christiane Brunner zur Bundesrätin zu wählen. Wütend über diese Zurückweisung, versammelten sich im Frühling 1993 viele Frauen und Männer auf dem Bundesplatz. Wenige Wochen später wählten sie im Bundeshaus dann eine andere Frau, Ruth Dreifuss wurde Bundesrätin.
Diskriminierung fängt beim Lehrlingslohn an
Meine Tochter ist heute fast gleich alt, wie ich damals beim letzten Frauenstreik. Und sie bekommt jeden Freitag Sackgeld. So wie auch ihr kleiner Bruder. Gibst du deiner Tochter weniger Sackgeld als deinem Sohn? Niemand würde wohl ernsthaft diese Frage mit einem «Ja» beantworten.
Doch was so absurd klingen mag, ist leider Realität. Nämlich dann, wenn die Kinder eine Lehre antreten und den ersten eigenen Lehrlingslohn erhalten, dann wird deine Tochter diskriminiert. Bereits ab dem ersten Tag werden die jungen Frauen in der Lehre schlechter bezahlt als ihre männlichen Kollegen. Die Lohndiskriminierung zieht sich durchs ganze Berufsleben und die Lohnunterschiede werden im Laufe der Berufslaufbahn immer grösser. Frauen verdienen im Schnitt fast 20 Prozent weniger. Diese Lohnunterschiede sind nicht haltbar und ungerecht.
Nehmen wir mal die Arbeit einer Kinderbetreuerin in der Kita als Beispiel und diejenige eines Vermögensverwalters. Wir vertrauen beiden etwas an, in einem Fall ist es unser Kind oder im anderen Fall unser Vermögen. Die Person, meistens eine Frau, die das Kind betreut verdient im Schnitt drei- viermal weniger, als die Person, die unser Vermögen verwaltet. Ist das gerecht? Steht das in irgendeinem nachvollziehbaren Verhältnis mit der übertragenen Verantwortung?
Frauenstreik 1991 war ein Anfang
Doch die Herren im Bundeshaus interessieren solche Fragen nicht. Für die Gleichstellung war diese Legislatur eine verlorene. Die Änderungen im Gleichstellungsgesetz sind ein Tropfen auf den heissen Stein. Es braucht viel griffigere Massnahmen! Es braucht eine Pflicht für alle Unternehmen ab 50 Angestellten eine Lohngleichheitsanalyse durchzuführen. Diese muss von einer unabhängigen Stelle geprüft werden. Und bei wiederholter Lohndiskriminierung braucht es Sanktionen. Sonst passiert nichts, oder einfach viel zu wenig und zu langsam.
Und wir wollen noch mehr. Wir fordern einen Elternurlaub für alle, wir fordern einen bezahlten Urlaub für die Pflege von Angehörigen, wir fordern Null-Toleranz gegenüber Sexismus und Gewalt gegen Frauen.
Der Frauenstreik 1991 hat vieles in Bewegung gebracht: das Gleichstellungsgesetz, die Wahl einer Bundesrätin, die Mutterschaftsversicherung, die Fristenlösung.
Auch wenn heute Mädchen Fussball spielen können, gibt es heute immer noch so viel zu verbessern. Es ist höchste Zeit für einen neuen Frauenstreik. Und ich freue mich darauf, dass er am 14. Juni stattfindet. Es ist grossartig, wie sich Frauen jedes Alters und unterschiedlicher Herkunft in die Vorbereitung dieses Streikes gestürzt haben – und es werden täglich mehr.
Ich bin sicher, dass auch am 14. Juni 2019 kein Zettel an einem violetten Ballon leer bleiben wird.