Fleischkonsum: Tsch, Tsch, Dschungelbrand
In Kanada werden Temperaturen von 50 Grad gemessen. Die Wälder brennen. Und auch in Brasilien wird der Regenwald immer kleiner. Die Schweiz ist mitschuldig.
Das Wichtigste in Kürze
- In Kanada werden derzeit Temperaturen von 50 Grad gemessen, die Wälder brennen dahin.
- Auch in Brasilien schreitet der Verlust des Regenwaldes von Tag zu Tag voran.
- Das ist vor allem dem Fleischkonsum zuzuschreiben – und die Schweiz ist mitschuldig.
Das Amazonasgebiet beherbergt mehr als die Hälfte der tropischen Regenwälder der Welt. Entgegen allgemeinem Glauben ist aber nicht der Klimawandel mit seinen steigenden Temperaturen, sondern unsere Ernährung der Haupttreiber dafür, dass dieses für das globale Klima existenzielle Biom jedes Jahr um eine Fläche von bis zu 10'000 Quadratkilometern – einem Viertel der Schweiz – schrumpft.
Und die Geschwindigkeit der Rodungen nimmt zu: Diesen April wurde im brasilianischen Regenwald die grösste Amazonaswaldfläche seit sechs Jahren gerodet. Medialer Aufschrei? Fehlanzeige.
Die Zerstörung der Regenwälder hat nicht nur den Verlust der Lebensgrundlage für die lokale Bevölkerung zur Folge, sie bedroht auch das globale Klima. Regenwaldbäume speichern enorme Mengen an Kohlenstoff und liefern mehr als ein Fünftel des weltweiten Sauerstoffs.
Dadurch sind sie selbst ein wichtiger Faktor im Kampf gegen die globale Erwärmung. Die fortschreitende Abholzung ist für etwa einen Zehntel der weltweiten Kohlenstoffemissionen verantwortlich. Denn der in den Bäumen gespeicherte Kohlenstoff wird beim Fällen, Verbrennen oder Verrotten wieder freigesetzt.
Das Schwinden der Wälder ist auch eine Katastrophe für die Biodiversität. Der Regenwald beheimatet die mit Abstand grösste Vielfalt an Pflanzen- und Tierarten weltweit. Mehr als ein Drittel sämtlicher Säugetier- und Vogelarten finden sich dort. Unzählige, wie der Fall des Amazonasdelfins sinnbildlich aufzeigt, sind unmittelbar vom Aussterben bedroht.
Wieso zerstören wir lebenswichtige Regenwälder?
Die Tierhaltung, insbesondere die Produktion von Fleisch- und Milchprodukten, gilt als Hauptursache für die Abholzung; sie ist für etwa 80 % aller Waldverluste verantwortlich.
Im Namen der Landwirtschaft wird Land gerodet, um Platz für Weideflächen und den Anbau von Futterpflanzen wie Soja zu schaffen. Soja ist die wichtigste Proteinquelle in der industriellen Tierernährung, was dazu führt, dass knapp 80 Prozent der weltweiten Sojabohnenernte an Nutztiere verfüttert wird. Die enorme weltweite Nachfrage nach Soja und Rindfleisch wird durch Importe aus Ländern wie Brasilien gestillt, dem weltweit grössten Exporteur beider Produkte.
Angesichts dieser Tatsache ist es nicht überraschend, dass es im konkreten Fall der brasilianischen Buschbrände oftmals die Viehzüchter selbst sind, die als Brandstifter zu Werke gehen. Bei den Bränden, die 2019 weltweites Aufsehen erregt hatten, wurden gar sogenannte «Feuertage» organisiert, um spezifische Tropenwaldflächen gezielt für die Weidewirtschaft zu roden.
Brasiliens Politik ist keine Hilfe
Es gibt wenig Hoffnung, dass die brasilianische Regierung unter Jair Bolsonaro gegen die Rodung des einheimischen Regenwalds vorgehen wird. Im Gegenteil – trotz internationaler Kritik hat er in der Vergangenheit das brasilianische Umweltministerium geschwächt, Waldschutz-NGOs angegriffen und sich für die Nutzung des Regenwalds für Holz, die Landwirtschaft und zur Förderung von Rohstoffen eingesetzt.
Ein neues Gesetz soll zudem die illegale Besitznahme von Landflächen im Amazonasgebiet nachträglich legalisieren. Auch wenn sich dagegen internationale Gegenwehr formiert – die Chancen stehen gut, dass Bolsonaros Regierung mit ihrem Plan durchkommt.
Sie zu stoppen und die Abholzung aufzuhalten, wäre auch nur der erste Schritt. Eine Studie der ETH aus dem Jahr 2019 weist darauf hin, dass wir dem Klima zuliebe eigentlich längst mit einer massiven Aufforstung hätten beginnen sollen.
Die Forschenden zeigen darin auf, dass die Aufforstung einer Fläche von 900 Millionen Quadratkilometern – der ungefähren Fläche Europas – möglich wäre, und auf diese Weise zwei Drittel der vom Menschen verursachten CO2-Emissionen seit der industriellen Revolution aufgenommen werden könnten.
Im Licht dieser Studie wird erneut deutlich, dass dem Klima momentan gleich doppelt geschadet wird: einerseits durch die Abholzung des Regenwalds, und andererseits durch die Nutzung der gerodeten Flächen für die Tierproduktion. Statt Flächen wieder aufzuforsten, um vergangene Emissionen zu kompensieren, werden mit der heute gängigen Nutzungsweise stetig mehr Emissionen kreiert.
Zu den Treibern dieser doppelten Klimabelastung gehören alle Stakeholder, die in den Handel mit den entsprechenden Tierprodukten involviert sind – dazu gehört auch die Schweiz.
Die Rolle der Schweiz
Um den Schweizer Futtermittelverbrauch zu decken, benötigen wir im Ausland eine Anbaufläche von mehr als 250'000 Hektaren, was beinahe einer Verdoppelung des schweizerischen Ackerlands entspricht. Nur 15 Prozent des Rohproteins zur Fütterung kann durch die Schweizer Produktion gedeckt werden.
Deshalb wurden im Jahr 2018 für Futtermittelzwecke allein 268'000 Tonnen mehrheitlich brasilianisches Soja in die Schweiz importiert. Diese Ware erfüllt grösstenteils die Mindeststandards, z. B. das Rodungsverbot für Primärwaldflächen. Leider bringt dieser Ansatz aber weniger, als es auf den ersten Blick scheint, denn die Standards führen mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht zu einer Vermeidung, sondern zu einer Verschiebung des Problems.
Denn solange die Nachfrage nach Soja steigt, ersetzt «nachhaltiges» Soja die konventionelle Produktion nicht, sie verdrängt sie eher von «nachhaltigen» auf neu gerodete Flächen. Des Weiteren darf nicht vergessen werden, dass die Ernährung der Schweizerinnen und Schweizer knapp 30 % ihrer Umweltschäden und 23 % ihrer indirekten Klimaemissionen verursacht.
Bei einer rein pflanzlichen Ernährungsweise würden die Umwelteinflüsse der Ernährung halbiert, was sich unter anderem in einer Reduktion der Landnutzung von 76 % niederschlagen würde, die zur Produktion der Nahrung benötigt wird.
Für uns bedeutet das: Unsere Entscheidungen, was auf unseren Tellern landet, was wir importieren und wie wir unsere hiesigen Tiere füttern, hat messbare Auswirkungen – auch im Regenwald.
Wie weiter?
Die einfachste Lösung wäre die international koordinierte Abschaffung der Massentierhaltung, wie sie für die Schweiz bereits in Form einer nationalen Volksinitiative gefordert wird.
Der enorme Futterbedarf, der eng mit der Anzahl Nutztiere verknüpft ist, würde durch einen solchen Schritt drastisch sinken, denn es wäre schlicht nicht mehr nötig, so viele Tiere zu füttern.
Die EU hat vor einiger Zeit ihren eigenen «grünen Deal» veröffentlicht, mit dem sie die Biodiversität stärken und die Treibhausgasemissionen auf gesamteuropäischer Ebene senken möchte. Greenpeace kommentierte sogleich, dass die Massentierhaltung in diesem Plan fast gänzlich ausgeklammert wird. Es gibt also auch auf internationaler politischer Ebene noch viel zu tun.
Neben wirksamen politischen Entscheiden kann auch das individuelle Konsumverhalten einen starken Einfluss haben. Je mehr Menschen sich mehrheitlich pflanzlich ernähren, desto geringer ist der Futtermittelbedarf.
Und dazu braucht es jede und jeden von uns. Denn wie es bereits Polarforscher und Umweltschützer Robert Swan einmal gesagt hat: «Die grösste Bedrohung für unseren Planeten ist der Glaube, dass jemand anders ihn retten wird.»
Zum Autor: Silvano Lieger ist Geschäftsleiter von Sentience Politics.
Sentience Politics trägt die Interessen nicht-menschlicher Tiere in die Mitte der Gesellschaft. Die Organisation möchte durch institutionelle Veränderungen dafür sorgen, dass auch das Leid nicht-menschlicher Tiere möglichst effektiv minimiert wird. Dafür arbeitet Sentience Politics insbesondere mit den direktdemokratischen Mitteln, die uns in der Schweiz zur Verfügung stehen – namentlich Initiativen auf kommunaler, kantonaler und nationaler Ebene.