Lovebombing! Woran man Narzissten in der Liebe erkennt
Zuerst Lovebombing, dann Abwertung: Wie ein Traummann zum Albtraum wurde. Eine Kolumne von Narzissmus-Expertin Chris Oeuvray.
Das Wichtigste in Kürze
- Narzissten nutzen anfängliche Überwältigung, um emotionale Abhängigkeit zu schaffen.
- Es gibt klare Warnzeichen, die man beachten sollte.
- Eine Kolumne von Narzissmus-Expertin Chris Oeuvray.
«Er war alles, was ich mir erträumt hatte.» Diesen Satz höre ich in meiner Arbeit als psychologische Beraterin oft, wenn Frauen oder auch Männer von den Anfängen ihrer Beziehungen mit einem narzisstischen Partner erzählen.
Es beginnt wie ein Märchen: Der Partner überschüttet sie mit Komplimenten, Aufmerksamkeit und Liebesbekundungen. Doch schon bald verwandelt sich der Traum in einen Albtraum voller Manipulation und Missbrauch.
Eine Klientin, nennen wir sie Julia Meier, ist ein Beispiel für diesen emotionalen Teufelskreis. Sie lernte ihren vermeintlichen Traummann, Daniel, auf einer Feier kennen. Er war charmant, aufmerksam und gab ihr das Gefühl, die wichtigste Frau auf der Welt zu sein. Es war, als hätte sie ihre grosse Liebe gefunden.
Doch was Julia damals nicht wusste: Sie steckte mitten im Lovebombing – der ersten Phase, in der Narzissten ihre Partner gezielt umgarnen, um sie emotional abhängig zu machen.
Lovebombing: Die Falle der perfekten Liebe
«Er hat mich wie eine Königin behandelt», sagt Julia: Geschenke, Überraschungen, romantische Gesten. All das machte es schwer, irgendetwas an ihm zu hinterfragen.
Lovebombing fühlt sich wie die perfekte Liebe an, doch hinter der Fassade steckt ein manipulativer Plan.
Diese Strategie ist mir aus meiner Arbeit wohlbekannt. Narzissten nutzen diese anfängliche Überwältigung, um Vertrauen und emotionale Abhängigkeit zu schaffen. Es ist wie ein emotionaler Rausch, der süchtig macht.
Die Masken fallen: von der Liebe zur Abwertung
Doch diese Phase hält in der Regel rund drei Monate an. Auch bei Julia begann Daniel sich nach ein paar Monaten zu verändern. «Plötzlich war nichts, was ich tat, gut genug», erzählt sie mir. «Er machte abwertende Bemerkungen über mein Aussehen und meine Arbeit.»
Die Abwertungsphase ist ein typisches Muster. Hier zeigt der Narzisst sein wahres Gesicht. Kritik, Schuldzuweisungen und Demütigungen werden zum Alltag.
Das Ziel: Die Kontrolle über den Partner zu gewinnen, indem das Selbstwertgefühl systematisch zerstört wird.
Emotionale Achterbahn: Warum es so schwer ist, zu gehen
Julia wollte die Beziehung mehrmals beenden. Doch jedes Mal zog Daniel sie mit liebevollen Gesten und Entschuldigungen wieder zurück. «Es war wie eine emotionale Achterbahn. Einmal war er charmant, dann wieder grausam», sagt sie.
Ich erkläre meinen Klienten, dass Narzissten genau wissen, wie sie Hoffnung und Schuldgefühle nutzen, um jemanden in der Beziehung zu halten. Das sogenannte «Hoovering». Es ist ein perfides Spiel, das tiefe emotionale Narben hinterlässt.
Der Wendepunkt: Sich selbst wiederfinden
Für Julia kam der Wendepunkt, als Daniel sie vor Freunden erniedrigte. «Da habe ich gemerkt, dass ich nur noch ein Schatten meiner selbst bin.» Wir lösten gemeinsam etliche Muster auf und nach intensiver und tiefgehender Aufarbeitung ihrer Vergangenheit gelang es ihr schliesslich, die Beziehung zu beenden.
Ich weiss aus Erfahrung, wie schwer dieser Schritt ist. Viele beschreiben es als kalten Entzug, sehr schmerzhaft, und es fühlt sich an, als ob man sterben würde.
Man stirbt jedoch nicht, sondern wird wiedergeboren. Danach ist es wichtig, das Toxische loszulassen, sich davon zu befreien, um sich auf eine gesunde Beziehung einlassen zu können.
Woran man Narzissten in der Liebe erkennt
Aus meiner Perspektive gibt es klare Warnzeichen, sogenannte Red Flags, die man beachten sollte:
• Lovebombing: Überschwängliche Liebesbekundungen und Geschenke am Anfang. Zu viel, zu schnell.
• Abwertung: Plötzlicher Wechsel zu Kritik und Demütigungen.
• Manipulation: Emotionale Spiele, die Abhängigkeit schaffen.
• Kontrolle: Eifersucht, Überwachung und Schuldzuweisungen.
Mein Rat an Betroffene
Es gibt einen Weg aus dieser Dynamik – aber es erfordert Mut. Der wichtigste Schritt ist, sich Hilfe zu holen, sei es durch Freunde, Familie oder einen Therapeuten. Der Kontaktabbruch ist entscheidend, denn Narzissten ändern sich nicht.
Heute erkennt Julia, dass sie sich selbst wiedergefunden hat. «Ich weiss jetzt, wie gesunde Liebe aussieht – und dass ich sie verdiene», sagt sie bei unserem letzten Gespräch.
Solche Momente zeigen mir immer wieder, dass Heilung möglich ist, auch wenn der Weg dorthin schwierig sein mag.
Zur Person: Chris Oeuvray ist Expertin für Narzissmus, psychologische Beraterin und Autorin («Narzissmus – ohne mich»).