Mitte-Binder: «Nazisymbole jetzt verbieten!»
Nationalrätin Marianne Binder-Keller (Mitte/AG) erklärt im Gastbeitrag, weshalb sie ein landesweites Verbot von Nazi-Symbolen verlangt.
Das Wichtigste in Kürze
- Im Gastbeitrag erklärt Marianne Binder-Keller, wieso Nazi-Symbole verboten werden sollten.
- Ein Sonnenschirm mit Tabakwerbung ist verboten, die Nazifahne hingegen erlaubt: «Absurd.»
- Der zunehmende Antisemitismus quillt aus verschiedenen gesellschaftlichen Lagern.
Vor einem Jahr habe ich eine Motion eingereicht, mit dem Auftrag an den Bundesrat, eine eigenständige gesetzliche Grundlage zu schaffen, welche die Verwendung von in der Öffentlichkeit bekannten Kennzeichen des Nationalsozialismus unter Strafe stellt.
Es geht namentlich um Gesten, Parolen, Grussformen, Zeichen und Fahnen, aber auch um Gegenstände, welche solche Kennzeichen darstellen oder enthalten. Der Bundesrat lehnte mein Begehren ab.
Es ging dem Bundesrat um Meinungsfreiheit
Das Zur-Schau-Stellen und Instrumentalisieren von Kennzeichen des Nationalsozialismus könne schockierend und sehr belastend sein – namentlich für die Opfer des Holocaust und ihre Angehörigen und Nachkommen. Die öffentliche Verwendung rassistischer Symbole würde die Menschenwürde und den öffentlichen Frieden aber nur mittelbar beeinträchtigen. Was heisst «mittelbar»?
Und dann brachte der Bundesrat die Meinungsfreiheit ins Spiel und die bundesgerichtliche Praxis, dass eine Nazifahne schon verboten werden könne, aber nur, wenn sie einem Propagandazweck diene. Welchen Zweck, verehrtes Bundesgericht, sollte eine Nazifahne sonst haben? Etwa die Verschönerung des öffentlichen Raumes?
Die Öffentlichkeit reagierte mit Unverständnis
Die Antwort generierte allgemeine Empörung und brachte dann auch den «Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund» und die «Gesellschaft gegen Rassismus» auf den Plan: In allerkürzester Zeit wurden mittels einer Petition tausende von Unterschriften gesammelt für ein Verbot von Nazisymbolik in der Schweiz.
Aufgrund der öffentlichen Reaktion las der Bundesrat seine Antwort nochmals durch und ging über die Bücher. Er gab einen Bericht in Auftrag und kam darin zum Schluss, dass ein explizites Verbot nationalsozialistischer Symbole grundsätzlich möglich wäre, aber kompliziert sei. Ersteres ist natürlich erfreulich, letzteres nicht nachvollziehbar. Wieso so kompliziert?
Bestimmtheitsgebot im Strafrecht
Ich habe mich auf das Bestimmheitsgebot im Strafrecht gestützt und auf die Symbolik des Nationalsozialismus und des Holocaust. Schliesslich muss ein Straftäter wissen, wofür er bestraft wird. In Gedenken an das einmalige Verbrechen hat das Parlament überdies erst kürzlich einstimmig die Errichtung eines Denkmals beschlossen, welches den Opfern des Nationalsozialismus gewidmet ist.
Ich sehe die Problematik nicht, beispielsweise einen «Judenstern» auf dem «umgeimpft» steht, zu verbieten. Seit dem Tabakwerbeverbot darf man keinen Sonnenschirm mehr aufstellen mit aufgedruckter Zigarettenmarke, aber eine Nazifahne an der gleichen Stelle soll erlaubt sein? Das ist doch absurd. Wieso soll bei uns erlaubt sein, was in anderen Ländern verboten ist?
Antisemitismus ist ein Faktum
Obwohl der Bundesrat ein Verbot unterdessen als möglich sieht, sieht er den Handlungsbedarf als «nicht gegeben». Er soll doch schleunigst einmal die Schriften studieren, welche die «Gesellschaft gegen Rassismus» oder der «Schweizerische Israelitische Gemeindebund» regelmässig herausgeben.
Der zunehmende Antisemitismus, aus welchen gesellschaftlichen Lagern er auch immer quillt, ist ein Faktum. Er ist eben nicht nur bei Neonazis zu beobachten. Und nicht nur auf den Holocaust beschränkt. Die Geschichtslosigkeit der Vergleiche im Zusammenhang mit der israelischen Politik ist teilweise schlicht erschreckend. Da geht es nicht um Kritik an Israel, wie sie schliesslich in Demokratien geäussert wird, sondern um die Unverhältnismässigkeit der Kritik.
Die UNO und ihre Unterorganisationen beispielsweise verabschieden Jahr für Jahr mehr Resolutionen gegen den Kleinstaat Israel als gegen alle anderen Staaten zusammen. Etwa 90 Prozent aller UN-Verurteilungen wegen Verletzung der Menschenrechte sind gegen Israel gerichtet – der Rest teilt sich auf Russland, Iran, Irak, Nordkorea und Konsortien auf. Antisemitismus in Reinkultur!
Auch im Zusammenhang mit der Pandemie schossen antisemitischen Stereotypen und Verschwörungstheorien wie Giftpilze aus dem Boden. Der Bund ist in der Pflicht, diese antisemitischen Vorfälle besser zu erfassen, strafrechtlich zu verfolgen und damit aufzuklären. Leider lehnt er auch das ab.
Das eine tun, das andere nicht lassen
Zurück zum Hitlergruss: Selbstverständlich verschwindet mit dem Verbot des Hitlergrusses nicht gleichzeitig jedes antisemitische Problem. Ihn jedoch explizit zu erlauben, ist ein nicht übersehbares, antisemitisches Signal. Und wenn ins Feld geführt wird, es gäbe schliesslich noch viele andere rassistische Symbole, die man auch verbieten sollte, dann drehen wir uns einmal mehr im Kreis.
In meiner Motion habe ich den Holocaust, die Nazisymbolik und den heutigen Antisemitismus gegen jüdische Bürgerinnen und Bürger ins Zentrum gerückt. Und diese Symbolik ist eng umschrieben. Das Verbot kann problemlos umgesetzt werden.
Die weitere Verfolgung des Rassismus ist mir selbstverständlich wichtig, ich unterstütze jegliche Vorstösse, die in diese Richtung gehen. Aber lassen wir uns nicht gegeneinander ausspielen, tun wir das eine und lassen das andere nicht.
Marianne Binder-Keller ist Nationalrätin und die Präsidentin der Mitte-Partei des Kantons Aargau. Sie ist überdies Mitglied des Schweizerischen Präsidiums der Partei. Die vierfache Grossmutter wohnt in Baden, ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder.