Natalie Imboden (Grüne): «Licht wird in der Ukraine gewinnen»
Heute fand in Bern eine Demo für die Ukraine statt. Grünen-Nationalrätin Natalie Imboden forderte in ihrer Rede mehr Unterstützung für die Betroffenen.
Das Wichtigste in Kürze
- Seit über einem Jahr herrscht in der Ukraine Krieg.
- In Bern wurde deshalb heute eine nationale Solidaritätskundgebung veranstaltet.
- In ihrer Rede forderte Natalie Imboden (Grüne) stärkere humanitäre Unterstützung.
- Ein Gastbeitrag.
Liebe Menschen aus der Schweiz oder aus anderen Ländern
Vor zwei Wochen habe ich Anna getroffen. Anna ist eine von 18 Millionen Ukrainerinnen und Ukrainern, die vor dem furchtbaren Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine ins Ausland flüchten mussten. Anna hat mir von ihrer Grossmutter erzählt, die als Kind vor 90 Jahren (1932/1933) in der Ukraine den Hungertod von rund vier Millionen Toten erlebt und überlebt hat. Ihre Grossmutter wollte, dass die Erinnerung an den millionenfachen Hungermord nicht vergessen geht – in der Hoffnung, dass sich dieser Horror nie mehr wiederholt.
Der massenhafte Hungermord, genannt Holodomor (vom ukrainischen «holod» Hunger und «moryty» umbringen), war nicht die Folge von Missernten, sondern war von der Führung der damaligen Sowjetunion unter Josef Stalin angeordnet und hatte auch die politische Unterdrückung des ukrainischen Nationalbewusstseins zum Ziel.
Geschichte wiederholt sich
Was hat das mit dem aktuellen völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine zu tun? Für die Ukraine ist der Holodomor ein zutiefst traumatisches Kapitel der eigenen Geschichte. Bei uns ist dieser Teil der ukrainischen Geschichte weitgehend unbekannt.
Heute ist klar: Der Holodomor stellt ein Verbrechen gegen die Menschheit dar und muss als Völkermord eingeschätzt werden. Eine solche Forderung, diesen Völkermord anzuerkennen und darüber zu reden, liegt auch in der Schweiz auf dem Tisch.
Letzte Woche traf ich Anna erneut an einer Foto-Ausstellung: schreckliche Bilder aus dem Krieg, kaum zu ertragen. Dabei eine Fotografie des renommierten Fotografen Abd Rodrigo, welche den sechsjährigen Jungen Vlad Tanyuk am Rand des behelfsmässigen Grabes seiner Mutter Ira Tanyuk zeigt. Sie starb am 4. April 2022 in Butscha, und zwar aufgrund von Unterernährung. Erneut ein Hungertod.
Butscha, Mariupol, Bachmut. Diese Städte sind zum Mahnmal geworden für die Grausamkeit gegen die Zivilbevölkerung, die ermordet, vergewaltigt wird oder auch wieder verhungert.
Der völkerrechtswidrige Angriff von Russland auf die Ukraine erschüttert uns alle, die wir für das Völkerrecht, die Demokratie und die Selbstbestimmung eines souveränen Landes einstehen. Ich habe allergrösste Achtung vor den Ukrainerinnen und Ukrainern, die nicht nur ihr Land, sondern auch unsere Demokratie und Menschenrechte verteidigen.
Humanitäre Unterstützung muss verstärkt werden
Wir hier in der Schweiz sind gefordert, alles in unserer Macht Stehende tun, damit das Völkerrecht und die Demokratie gewinnen: «Light will win over darkness.» Das Licht wird über die Dunkelheit gewinnen.
Die Schweiz muss die humanitäre Unterstützung für die Ukraine massiv verstärken, gar verzehnfachen.
Wir als Gastgeber und Gastgeberinnen können Ukrainer, Ukrainerinnen und ihre Familien hier bei besser unterstützen, so beim Erlernen unserer Sprachen oder bei der Integration in den Arbeitsmarkt.
Die offizielle Schweiz muss sich die kritische Frage stellen, warum der Rohstoffhandelsplatz und die Abhängigkeit von Öl und Gas den Krieg Putins mit-finanziert haben. 80 Prozent des Rohstoffhandels von Russland laufen über die Schweiz. Drei Viertel des russischen Kohlehandels gehhen über die Schweiz.
Zu Kriegsbeginn wurden noch zwischen 50 und 60 Prozent des russischen Erdöls in der Schweiz gehandelt. Hier verlangen die Grünen Korrekturen und eine schärfere Aufsicht. Der Rohstoffhandelsplatz profitiert massiv vom Krieg und macht historische Rekordgewinne. Diese horrenden Krisenprofite von Rohstoff- und Energiehandel müssen besteuert werden.
Wenn wir aus der Geschichte gelernt haben, dann braucht es die Entschlossenheit und das Zusammenstehen der Staatengemeinschaft, damit die Menschenrechte und das Völkerrecht gewinnen! Aus einer menschlichen Perspektive gibt es angesichts dieses Krieges keine Neutralität. Tun wir alles Mögliche, damit die Menschenrechte und das Völkerrecht gewinnen! «Slava Ukraini» (Слава Україні!; Glory to Ukraine) We stand with Ukraine!
Zur Autorin: Natalie Imboden ist Nationalrätin der Grünen aus dem Kanton Bern. An der nationalen Solidaritätskundgebung für die Ukraine in Bern trat sie als Rednerin auf.