Nevin Hammad (SP): «Bildung für wirklich alle»
Wenn am 13. Februar Zürich den neuen Gemeinderat wählt, stellt sich auch Nevin Hammad für die SP zur Wahl. Sie setzt sich für Chancengleichheit bei Bildung ein.
Das Wichtigste in Kürze
- Nevin Hammad ist im Kreis 6 Gemeinderatskandidatin für die SP und die JUSO.
- Ihr liegt besonders die Bildung am Herzen.
- Bei dieser dürfe nicht gespart werden, schreibt sie in ihrem Gastbeitrag.
Ich hatte das Glück, das Gymi besuchen zu dürfen. Dabei war das für mich weniger eine Glücksfrage, sondern eine Selbstverständlichkeit – ich war auch erst elf, als diese Frage aufkam. Meine Mutter hatte das gemacht, also machte ich das auch. Ich weiss noch, wie verwirrt ich war, als mein Primarlehrer zu mir sagte: «Mit diesen Noten kommt sogar das Gymi in Frage».
Ein externer Vorbereitungskurs war nie eine Option, bis zur Kantonsschule realisierte ich nicht, wie viele Kinder diese Kurse besuchen. Den meisten Stoff für die Prüfung lernte ich in den zwei panikgeladenen Ferienwochen vor der Prüfung bei und bestand diese mit Ach und Krach.
Ich war eines von drei Kindern aus meiner Primarklasse aus dem Kreis 6, welche diesen Weg einschlugen, es war also eigentlich keinesfalls eine Selbstverständlichkeit. Umso erstaunter war ich, als ich sah, dass gefühlt ganze Primarklassen aus Hottingen an die Kantonsschule transferiert wurden.
Meine Klasse war sehr weiss, gebildet und gut betucht. Ein starker Kontrast zu meiner Primarzeit, in welcher ich mit meinem nicht-schweizerischen Namen nicht auffiel.
Akademiker-Kinder gehen häufiger ans Gymi
«Jeder Idiot kann die Matura machen», begann mein Deutschlehrer am Gymi meine erste Deutschstunde. Was er damit andeutete, begriff ich erst viel später. Denn meine kindliche Verwirrung war eigentlich in keinem Punkt überraschend.
Es ist bekannt, dass Kinder von Akademiker*innen viel öfter das Gymnasium besuchen. Sieben von zehn Kindern mit Akademikereltern besuchen ebenfalls eine Hochschule. Die Gründe dafür sind vielfältig: Der Bildungsweg ist den Kindern und Eltern schon bekannt, die Hürde wirkt also kleiner. Übersetzt in meinen Fall: Das Gymi ist der normale Weg, nicht die Ausnahme. Ausserdem hat die Ausbildung der Eltern einen Einfluss auf das Lohnniveau: Wer einen Abschluss einer Universität oder der ETH hat, verdient etwa 35 Prozent mehr als den städtischen Durchschnittslohn.
Damit sinkt natürlich auch die finanzielle Last eines Kindes, das noch nicht arbeitet. Besagte Vorbereitungskurse für die Gymiprüfung und die Nachhilfe sind auch nicht gratis. Mal ganz davon abgesehen, dass Kantonsschulen die Kosten für Schulmaterial wie Bücher nicht übernehmen. Die Matura ist eben doch nicht gratis. So überrascht es auch wenig, dass die höchsten Akademiker*innen-Quoten in den Stadtkreisen mit dem durchschnittlich höchsten steuerbaren Einkommen zu finden sind.
Herkunft hat Einfluss auf Ausbildung
Auch meine grösstenteils gutbürgerlich-schweizerische Klasse stellte keine Ausnahme dar. Der Migrationshintergrund spielt in Zürich bezüglich Bildung eine wichtige Rolle. Der Grossteil der neu zugezogenen Ausländer*innen hat einen Hochschulabschluss. Im Kontrast dazu stehen Personen, die schon länger als zehn Jahre in der Schweiz leben, diese verfügen oft über eine relativ tiefe Schulbildung. Herkunft und finanzielle Verhältnisse haben also einen bedeutenden Einfluss auf die Ausbildungsmöglichkeiten von Kindern und Jugendlichen in der Schweiz und in der Stadt Zürich.
Nicht «jeder Idiot» kann die Matura machen, sondern vor allem jene, bei denen die Voraussetzungen stimmen. Zusammengefasst: Alle Bildungswege stehen leider längst nicht allen offen.
Was ist also die Lösung? Die Gymiprüfung abschaffen? Das wäre ein Start, aber sicher nicht die Lösung. Wir müssen vielmehr dafür sorgen, dass unsere Bildungsvielfalt nicht vergessen geht. In den letzten Jahren hat die Lehre beträchtlich an Bedeutung verloren, während ein Hochschulabschluss an Prestige gewann.
Doch unser Bildungsweg sollte weder durch Prestige noch durch die Wünsche von Eltern bestimmt werden, sondern durch die der Kinder. Ziel muss ein Bildungssystem sein, das die Interessen der Kinder ins Zentrum stellt. Echte Chancengerechtigkeit heisst nicht nur Zugang zu gleicher Bildung für alle, sondern auch, dass alle gemäss ihren Stärken und Schwächen bestmöglich gefördert und unterstützt werden.
Bei Bildung darf nicht gespart werden
Die Einführung von Tagesschulen ist ein Schritt in die richtige Richtung. Denn diese entlasten nicht nur Eltern, sondern schaffen auch nach dem Unterricht Anlaufstellen und Unterstützung für die Schüler*innen, etwa in Form von unentgeltlichen Aufgabenstunden. Wir brauchen Räume, in denen sich alle Schüler*innen weiterentwickeln können und wo ihre Herkunft nicht wegweisend ist. Förderprogramme dürfen nicht nur denen zustehen, die speziell hervorstechen.
Die Frage ist also nicht, welche Quote wir wo drücken müssen, sondern wie wir Schüler*innen helfen können, den besten Weg für sie zu finden, unabhängig von ihrem Umfeld. Denn in der Bildung dürfen wir nicht sparen, wenn wir weiterhin in einer wirklich demokratischen Gesellschaft leben wollen.