Nicole Ruggle: Exekutiv-Ohrfeige an Schweizer Milizpolitik
Nicole Ruggle (FDP) kritisiert den Umgang des Bundesrats mit den Fristen und Regelungen für die Unterschriftensammlung. Ein Gast-Kommentar.
Das Wichtigste in Kürze
- Der Bundesrat verbot das Unterschriftensammeln bis zum 30. Mai.
- Eine Fristenverlängerung für Volksinitiativen lehnte er ab.
- FDP-Politikerin Nicole Ruggle kritisiert dieses Vorgehen.
Im Mai 2020 wandten sich verschiedene Initiativkomitees um den Jungfreisinnigen Nicolas Rimoldi an die Bundeskanzlei und forderten eine Verlängerung der Frist bezüglich der Unterschriftensammlung für Volksinitiativen. Dies wurden aufgrund des durch die Exekutive beschlossenen Corona-Lockdowns auf Eis gelegt. Der Bundesrat verbot das Sammeln von Unterschriften zusätzlich bis Ende Mai.
Zu betreffendem Zeitpunkt gab dieser bekannt, dass das Unterschriftensammeln ab Juni wieder erlaubt sei – unter äusserst skurrilen, um nicht zu sagen: demokratiefeindlichen Voraussetzungen.
Der Kriterienkatalog, der das von der Bundeskanzlei vorgegebene Schutzkonzept definiert, liest sich dann auch wie ein einziges weltfremdes Ad Absurdum.
Wertvolle Sammelzeit verloren
So müssen Unterschriftensammelnde sicherstellen, dass der Mindestabstand von 2 Metern gewährt bleibt. Unterschreibende sollen idealerweise einen eigens mitgebrachten Stift verwenden und Klemmbrette dürfen möglichst nicht herumgereicht werden.
Zusätzlich sehe man keine Notwendigkeit, die Fristen für das Sammeln zu verlängern; man habe nun – nachdem Monate an dringend benötigter Sammelzeit bachab gingen – wieder Zeit dafür.
Nachdem sich der Bundesrat per Notrecht bereits nonchalant über Gewaltenteilung und Föderalismus hinwegsetzte und monatelang freihand mit Notverordnungen und z.T. absurden und widersprüchlichen Schutz- und Exitkonzepten hantierte, zeichnet sich nun ein neuer politischer Tiefpunkt ab, denn: Feiern ist ab Juni wieder erlaubt.
So dürfen sich ab diesem Samstag wieder bis zu 30 Personen treffen (man wolle private Picknicks und Fussballspiele wieder zulassen.) Dabei sei zwar durchaus ein Mindestabstand einzuhalten, ein Schutzkonzept sei aber nicht nötig, so Berset.
Was sich wie ein schlechter Witz anhört, entlarvt sich als absolut willkürliche und fahrlässige Exit-Strategie eines mit der Situation offenbar heillos überforderten Bundesrats. Weiter: «Man müsse feiern können», bekräftigt Berset; die Abstandsregeln würden hierbei aber nicht absolut gelten, sagte er im «Tages-Anzeiger»
Angesichts solcher Aussagen erscheinen die restriktiven Schutzmassnahmen, die den Unterschriftensammelnden aufgezwungen werden wie blanker Hohn. Schlimmer noch, die Exekutive setzt damit ein klares Zeichen: Fussball und Feiern sind in einer Demokratie wichtiger als politische Milizarbeit.
Volksinitiativen nicht ausbremsen
Volksinitiativen sind die heilige Kuh unserer halbdirekten Schweizer Konkordanzdemokratie. Sie repräsentieren im direktesten Sinne die Stimme des Souverän. Dass diese Form unserer traditionsreichen Schweizer Milizpolitik nun dermassen ausgebremst wird, ist unserer Demokratie zutiefst unwürdig.
Eine Staatsgewalt, die sich zusammen mit den ihr hörigen Bundesbehörden konsequenzlos einen solch schwerwiegenden Fauxpass leistet, indem sie ihre Prioritäten dermassen falsch setzt, hat offenbar jeglichen Bezug zur Realpolitik verloren.
Hinweis zur Autorin: Nicole Ruggle ist Alumnus JFSG und derzeit Mitglied bei der Stadtzürcher FDP. Sie vertritt in diesem Text aber ihre persönliche Meinung.