Die Achse der Idioten
Unser Kolumnist wundert sich über Wahnsinn, der quer durch alle politischen und sozialen Schichten wuchert - und freut sich über die Mehrheit der Vernünftigen.
Das Wichtigste in Kürze
- Nau.ch-Kolumnist Reda El Arbi erklärt die linksgrünversiffte Welt.
- Reda El Arbi erlangte als Blogger und Journalist Bekanntheit.
- Bis 2011 war er Chefredaktor des Satiremagazins «Hauptstadt».
- Er lebt mit Frau und zwei Hunden in Stein am Rhein SH.
Linksextreme, Rechtsextreme, Reichsbürger, militant-vegane Narzissten, Verschwörungstheoretiker, Impf- und 5G-Gegner, Esoteriker und jede Menge «besorgte Bürger» haben sich am Samstag in der ganzen Schweiz zu Demonstrationen «gegen Corona» zusammengefunden. Sie demonstrieren für «Freiheit». Wenn man aber nachfragt, welche Freiheit genau, bekommt man ausser «Einkaufen», «Party» und «Versammlung» keine Antwort. Man kann es sich auch sparen, auf die Ironie einer Demo für «Versammlungsfreiheit» hinzuweisen. Zum Glück gabs wenigstens keine Gewalt gegen Presse und Polizei, wie in Deutschland an solchen Veranstaltungen die Regel.
Es ist, als ob man mit Corona die Gesellschaft auf Dummheit röntgen würde, und alle Spinner würden sichtbar. Aber wenn sich alle Spinner, egal aus welcher Richtung, unter einer einzigen Flagge zusammenfinden, Rechts- und Linksextreme Schulter an Schulter, um gegen die Regierung zu demonstrieren, kann man davon ausgehen, dass diese Regierung etwas richtig gemacht hat. In die Geschichtsbücher der Zukunft werden diese Demonstrationen wohl als «Die Achse der Idioten» eingehen.
Das Phänomen lässt sich für einmal nicht in ein Links/Rechts-Schema einordnen. Der grüne Politiker Urs Hans gehört genauso zu diesen kognitiv Benachteiligten (Gates hat die WHO gekauft, um uns mit Nano-Chips zu impfen!!!) wie rechtsextreme Weltuntergangfans. Der Corona-Riss zieht sich aber nicht nur durch Parteien, er spaltet auch Familien, beendet Freundschaften, und richtet einigen Schaden an.
Aber es ist nicht so schlimm, wie man denken könnte: Die Lautesten sind nämlich nicht die Meisten. Bei einer nicht-repräsentativen Umfrage in meinem erweiterten Twitterumfeld, ob man nach den Lockerungen des Lockdowns Vollgas geben würde, haben die meisten Befragten eher mit Zurückhaltung reagiert. Man freue sich, wieder mal ein Bier in der Beiz zu trinken, oder hoffe, dass man bald wieder mal ins Kino oder ins Theater könne. Nicht mal die Partyvögel unter meinen Bekannten wollten sich gleich Vollgas in die Clubs werfen. Eher mal abwarten. Die meisten sind sich bewusst, dass man das Virus nicht politisch wegdiskutieren kann, und dass eine zweite Welle sehr wahrscheinlich ist.
Erstaunlich ist, was die Leute im Lockdown Positives für sich entdeckten. Viele wollen gewisse Verhaltensweisen, die sie sich in den letzten Wochen angewöhnt haben, auch weiter pflegen. Sie haben sich mehr in der Natur bewegt, und wollen das auch in Zukunft mehr tun. Viele haben die Schönheit unseres eigenen Landes wiederentdeckt und planen jetzt ihre Ferien in der Schweiz, nicht als Ersatz, sondern weil sie wollen. Lokal einkaufen und weniger fliegen sind zwei weitere Punkte, die bei vielen bleiben werden.
Auch bei der Arbeit wird der Lockdown wohl Spuren hinterlassen. Chefs und Manager haben kaum noch Gründe, um Homeoffice abzulehnen, selbst die verschnarchteste Firma hat inzwischen digital so weit aufgeholt, dass sie fürs 21. Jahrhundert aufgestellt sind.
Während sich also die Achse der Idioten in Stellung bringt, um auf der zweiten Welle zu surfen, sind die meisten meiner MitbürgerInnen sich der Realität bewusst, dass das neue «Normal» nicht mehr das alte «Normal» sein wird. Und auch hier macht es keinen Unterschied, ob es Bürgerliche oder Linke sind. Auch die Vernunft scheint in dieser Sache gleichmässig über die Gesellschaft verteilt.
Es ist beruhigend, dass die Menschheit, die durch Anpassung an Krisen und Herausforderungen immer gewachsen ist, auch hier die Fähigkeit zur Adaption aufbringt. Und hoffen wir, dass Darwin uns vor den mental Überforderten und den Zynikern aller Couleur beschützt.
Zum Autor: Reda El Arbi ist 50-jährig, kommt aus Zürich und zog vor einigen Jahren nach Stein am Rhein. Grosse Bekanntheit erlangte er mit seinem Zürcher «Stadtblog» für den «Tagesanzeiger». El Arbi schreibt unverblümt, hat zu allem eine Meinung und polarisiert auch gern. Er ist verheiratet und lebt mit Frau und Hund in Stein am Rhein SH.