Pascal Lottaz über Neutralität und Sicherheit

Pascal Lottaz
Pascal Lottaz

Bern,

Welche Sicherheit bringt die Neutralität? Eine Analyse von Historiker Pascal Lottaz.

Flaggen wehen vor einem Gebäude
Flaggen verschiedener Nationen wehen auf dem Platz vor dem Palais des Nations im März 2016 - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Historiker Pascal Lottaz schreibt die Kolumne «Die Schweiz, ihre Neutralität und die Welt»
  • In diesem Artikel geht es um die Neutralität und die Sicherheit

Nach hunderten von gewalttätigen Jahren ist Europa heute relativ friedlich. Der letzte grosse Krieg auf dem Kontinent war der Zerfall Jugoslawiens in den frühen 90ern. Doch mittlerweile sind bereits zwei der neuen Balkanstaaten der EU beigetreten (Slowenien und Kroatien), während Serbien zusammen mit Montenegro und Nord-Makedonien auch auf dem Weg dazu sind. Nur in Osteuropa ist die Ukraine im Moment in einen blutigen Konflikt mit zwei abtrünnigen Provinzen verwickelt, der durch militärische Beihilfe Moskaus am Leben gehalten wird. In der unmittelbaren Schweizer Umgebung ist es aber sehr ruhig geworden. Da stellt ich schon leise die Frage; gegenüber was sind wir denn eigentlich heute noch neutral und hilft uns diese Neutralität überhaupt immer noch in Europa?

Eines ist klar, weder der Bundesrat noch die Schweizerverfassung hat die dauernde Neutralität je als «Zweck» sondern immer nur als «Mittel» definiert, um übergeordnete Ziele zu erreichen; allen voran der Wahrung von Sicherheit und Wohlstand der Bevölkerung. Als Sicherheitskonzept hat die permanente Neutralität der Schweiz bisher auch sehr gut gedient. Wir sind (fast) unbeschadet durch das 19. Jahrhundert gekommen und haben auch zwei blutige Weltkriege überstanden. Das Bundesamt für Verteidigung (VBS) hält darum auch fest; „[e]in Aufgeben der Neutralität käme nur in Frage, wenn der Gewinn einer neuen Sicherheit grösser wäre als der Verlust der alten.“ Daher ist die Frage nicht, ob Neutralität für die Schweiz gut oder schlecht ist, sondern was denn die Alternativen für unsere Sicherheit wären?

Sicherheit in diesem Zusammenhang bedeutet eine angemessene Erwartung, dass unser Land nicht angegriffen wird und wir unsere Unabhängigkeit nicht durch Waffengewalt verlieren. Dass die Schweizerische, permanente Neutralität diese Rolle als Sicherheitsgarantin erfüllen kann ist bis zu einem gewissen Grade kontraintuitiv, denn Sie bedeutet alleine zu sein, wenn es hart auf hart kommt. Kritiker konstatieren darum häufig, dass schlussendlich nur kollektives Handeln Frieden sichern kann und dass internationale Normen von der «Weltgesellschaft» als Ganzes verteidigt werden müssen. Das war die Idee von Leuten wie US Präsident Woodrow Wilson, als er nach dem Ersten Weltkrieg für die Gründung des Völkerbundes einstand (dem übrigens die Schweiz 1919 beitrat).

«Kollektive Sicherheit» ist das Drei-Musketier Prinzip: ein Angriff auf einen gilt als Angriff auf alle und wird von allen vergolten. Dieses Sicherheitsprinzip hat aber zwei grosse Nachteile. Zuerst muss Einigkeit unter den Mitgliedern bestehen, wann und wo der Bündnisfall zu tragen kommt. So hat der Völkerbund kläglich versagt in den 1930er Jahren als es darum ging Ausscherer wie Japan, Italien, oder Deutschland für ihre Übertritte zu bestrafen. Auch die Nachfolgeorganisation, die UNO, war in den letzten 70 Jahren unzählige Male Handlungsunfähig, weil die eine oder andere Vetomacht im Sicherheitsrat einem kollektiven Militäreinsatz nicht zustimmte.

Andererseits können Militärbündnisse, wenn Sie nur eine «kleine» Koalition von Staaten umfassen und gegen andere Bündnisse gerichtet sind zu einer Kettenreaktion führen. So hat 1914 ein Geflecht aus Europäischen Militärbündnissen dazu geführt, dass ein Attentat in Sarajevo in eine Europäische Katastrophe mündete, weil Freunde auf beiden Seiten von rivalisierenden Grossmächten sich gegenseitig beistanden. So gesehen birgt auch die Alternative zur Neutralität, die kollektive Sicherheit, Gefahren, welche dem Wohlergehen der Schweiz zuwiderlaufen könnten.

Unter diesen Gesichtspunkten spielt es keine Rolle ob in Europa Gefahrenherde für die Schweiz bestehen oder nicht, die Permanente Neutralität ist die allgemeingültige Sicherheitsmaxime des Bundes—die Leitschnur für alle Sicherheitsrelevanten Fragen jetzt und in Zukunft. Mit dieser Maxime kann man einverstanden sein oder nicht, aber eine Abkehr von ihr würde nur Sinn machen, wenn eine bessere Richtschnur für mehr Sicherheit sorgen würde. Angesichts der historischen Erfahrungen und der Gefahr durch Bündnisse in fremde Kriege verwickelt zu werden ist dies im Moment aber nicht absehbar.

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