Nach Rausschmiss: Zürcher wirbt für Hausbesetzung
Alle Mietenden mussten in einer Siedlung in Zürich-Witikon wegen Sanierung ausziehen. Ein Ex-Bewohner kritisiert, dass die Wohnungen ungenutzt sind.

Das Wichtigste in Kürze
- «Falls jemand Häuser besetzen möchte, go for it!», schreibt ein Ex-Bewohner auf Facebook.
- Seit Ende März stehen drei Mehrfamilienhäuser in Zürich-Witikon leer.
- Die Eigentümerin behauptet jedoch, dass die Sanierungsarbeiten begonnen hätten.
Die Stadt Zürich und Umgebung ist für Hausbesetzer ein Hotspot. Immer wieder machen Aktivistinnen und Aktivisten Schlagzeilen, weil sie sich in Häusern und Gebäuden illegal einquartieren.
Aus diesem Alter ist Rolf Bühler* raus. Dies hält den 56-Jährigen aber nicht davon ab, auf Facebook für eine Hausbesetzung zu werben.
«Ich empfehle ein Objekt an schönster Lage!». Mit diesen Worten wendet sich der Zürcher kürzlich an die «Hausbesetzer und Hausbesetzerinnen mit einem Flair für Zürich». Mit dem Objekt meint er drei Mehrfamilienhäuser an der Carl-Spitteler-Strasse in Zürich-Witikon.

Kündigung nach Jahrzehnten
Fast sein ganzes Leben wohnte Bühler dort, zuerst mit seinen Eltern. Als er erwachsen wird, zieht er in eine Drei-Zimmer-Wohnung oberhalb. Knapp 1300 Franken Miete bezahlen er und seine Partnerin.
Im Frühling 2023 ist Schluss mit dem trauten Zuhause. Die Zurich Versicherung fordert sämtliche Mieter der Häuser auf, ihre Wohnungen bis spätestens Ende März 2025 zu verlassen.
Als Grund dafür gibt die Versicherung eine Gesamtsanierung an.
Davon hat Rolf Bühler aber bis anhin nichts bemerkt. Bühler und seine Partnerin wohnen inzwischen in einer anderen Wohnung im Quartier. Oft spazieren sie an ihrem ehemaligen Zuhause vorbei.
«Seit Anfang April stehen diese drei Mehrfamilienhäuser leer», schreibt er im Post. Auch stellt er keine geplante Zwischennutzung zum Beispiel durch Flüchtlinge fest. «Also, falls jemand Häuser besetzen möchte, go for it!», schreibt er am Ende seines Posts.
Zürcher Mieterverband hat Verständnis
«Es wäre doch sinnvoll, wenn die leeren Wohnungen bis zur Sanierung besetzt würden», sagt Bühler zu Nau.ch. «Es gibt genug Leute, die in Zürich keine günstige Wohnung finden.»
2024 kam es in der Stadt Zürich zu 31 Hausbesetzungen. Dies teilt die Stadtpolizei Zürich auf Anfrage mit. Zuvor registrierte sie jährlich rund 26 Besetzungen.
Der Zürcher Mieterinnen- und Mieterverband (MV) kann Bühlers Aufruf zur Hausbesetzung nachvollziehen. «Es ist das einzige Mittel, um zu verhindern, dass Wohnraum leersteht», sagt MV-Mediensprecher Walter Angst zu Nau.ch.
«Nicht nachvollziehbar»
Zürich ist bei den Leerkündigungen Spitzenreiterin. Der Anteil beträgt laut einer Studie der Zürcher Kantonalbank beinahe 12 Prozent.
Der Bedarf an bezahlbarem Wohnraum sei in der Stadt riesig, sagt Walter Angst. «Es ist bedauerlich, dass die Zurich Versicherung nicht bereit ist, die Wohnungen zur Zwischennutzung zur Verfügung zu stellen.»
Starte eine Sanierung nicht innerhalb von drei bis vier Wochen, seien leerstehende Wohnungen nicht nachvollziehbar.
Wochen ohne Mietzinse können sich die Eigentümer leisten. «Zum Beispiel, wenn sie die Wohnungen bereits zu einem massiv höheren Mietzins vergeben haben», sagt Angst.
Hauseigentümer verteidigt Vorgehen
Der Hauseigentümerverband Schweiz (HEV) widerspricht. «Kein Eigentümer hat ein Interesse an einem Leerstand, denn auch dieser verursacht Kosten.» Dies sagt Stéphanie Bartholdi Brendel, Juristin beim HEV.
Es gebe aber Situationen, in denen nicht immer direkt mit den Bauarbeiten begonnen werden könne.
Dies ist laut Bartholdi etwa der Fall, wenn noch keine rechtskräftige Baubewilligung vorliegt oder Lieferengpässe den Baubeginn verzögern. «Die Gründe für Verzögerungen liegen oft ausserhalb des Machtbereichs des Eigentümers und sind auch für diesen ärgerlich.»
Bauarbeiten hätten begonnen
Die Auskunft der Zurich Versicherung zu den leeren Wohnungen an der Carl-Spitteler-Strasse fällt knapp aus. «Die Arbeiten des beauftragten Bauunternehmens haben bereits begonnen», behauptet Mediensprecher David Schaffner gegenüber Nau.ch. Die entsprechende Baubewilligung liege der Versicherung bereits seit 2023 rechtsgültig vor.
Der HEV hat trotz der vielen Leerwohnungen «kein Verständnis für das Besetzen von fremdem Eigentum». Dasselbe gelte für das Aufrufen zur Besetzung von leerstehenden Liegenschaften.
Die HEV-Juristin macht darauf aufmerksam, dass das Eindringen und Besetzen von leerstehenden Liegenschaften eine Straftat darstellt.
Post gelöscht
Auch das Anstiften zu Vergehen ist strafbar.
Rolf Bühler hat seinen Hausbesetzungs-Aufruf inzwischen gelöscht. Er wolle keine Schwierigkeiten bekommen, sagt er. «Eigentlich war es auch mehr eine Empfehlung als ein Aufruf.»
*Name der Redaktion geändert.