Wieso wohnen keine afghanischen Flüchtlinge bei mir?

Sam Urech
Sam Urech

Wetzikon,

Die Taliban-Hölle zieht wie ein dunkler Schatten über Afghanistan. Ach, ich kann doch nichts dafür und Hauptsache ist ohnehin, dass es mir gut geht. Echt jetzt?

Sam Urech
Sam Urech besucht die Freikirche FEG Wetzikon. - Fotograf: Sebastian Heeb

Das Wichtigste in Kürze

  • Sam Urech aus dem Zürcher Oberland ist Halleluja-Kolumnist auf Nau.ch.
  • Den Autor erreichen Sie via SamUrech.ch oder auf Social Media.

Aufgeheizt von den schrecklichen Bildern aus Kabul wollte ich heute voller Tatendrang titeln: «Bringt die afghanischen Flüchtlinge hierher!»

Ich begann die Kolumne zu schreiben und wurde dabei immer nachdenklicher. Will ich wirklich mehr Afghanen hier bei mir? Ähm, nein, wenn ich ehrlich bin.

Viele Menschen aus Afghanistan sind auf der Flucht.
Viele Menschen aus Afghanistan sind auf der Flucht. - keystone

In unserer Wohnung hätten noch Menschen Platz. Wir könnten also Flüchtenden helfen – tun es aber nicht. Wieso nicht?

Andere sollen helfen

Unangenehme Gedanken, schnell wegfegen: «So wichtig, dass diesen Menschen geholfen wird. Aber nicht hier bei uns – das sollen bitteschön andere machen.»

Und weiter: «Wir haben doch unsere eigenen Sorgen – was können wir dafür, was in Afghanistan passiert? Zudem passen diese Menschen mit ihren Wertvorstellungen gar nicht hierher.»

Sollen in der Schweiz lebende Afghanen ihre Verwandten nachholen dürfen?

Phu. Wirklich entlastend sind diese Ausreden nicht, wenn ich sehe, dass eine verzweifelte Mutter ihr Kind über einen Zaun in die Arme von US-Soldaten gibt.

Oder wenn ich höre, dass ein Flugzeug wegen Leichenteilen im Fahrwerk in einem Nachbarland von Afghanistan zwischenlanden musste.

Sofort nach Kabul gehen?

Menschlichkeit ist keine Frage von Politik – von links oder rechts. Menschlichkeit ist auch keine Frage von Glaube und Religion. Menschlichkeit ist das, was uns zu Menschen macht. Wer diese Menschlichkeit verliert, verliert alles.

Flughafen in Kabul.
Am Flughafen in Kabul hoffen Afghanen auf eine Ausreisemöglichkeit. - keystone

Was tun? Meine Familie zurücklassen, nach Afghanistan fliegen und gegen die Taliban kämpfen? Macht null Sinn.

Was ich meines Erachtens machen sollte: Mich diesen Bildern aus Kabul stellen und zulassen, dass sie mich erschüttern. Nicht mit billigen Ausreden wegdrängen!

Evacuation of civilians from Kabul
Unvorstellbar, in welcher Angst viele Menschen in Afghanistan jetzt leben. - dpa

Zulassen, dass dieser Schrecken meine innersten Ängste weckt. Zulassen, dass meine Menschlichkeit auf den Prüfstand gestellt wird.

Mehr Liebe für Flüchtlinge

Und dann abwägen, wie wichtig ich mir selbst bin und wie viel Platz da in meinem Herzen für fremde Menschen aus Krisenländern bleibt. Oder überhaupt für andere Menschen.

So wie ich die Bibel verstehe, ist nicht unser wichtigste Auftrag, die Welt zu retten und jedes Unrecht zu bekämpfen. Sondern Gott und die Menschen zu lieben, wie uns selbst.

Was das bedeutet, darf jeder selbst für sich herausfinden. Ich zumindest kann mit Sicherheit sagen, dass ich mir wünschte, es gäbe mehr Raum in meinem Herzen für Flüchtlinge.

***

Zum Autor:

Sam Urech ist 37-jährig, verheiratet und Vater von zwei Buben. Mit seiner Familie besucht er die Freikirche FEG Wetzikon. Sam ist selbstständiger Kommunikationsberater und in Ausbildung zum Seelsorger.

Er liebt seine Familie, Gimmelwald, Schwarzmönch Black Ale, den EHC Wetzikon, Preston North End und vor allem Jesus Christus. Sam schreibt wöchentlich auf Nau.ch über seine unverschämt altmodischen Ansichten. Wenn Sie hier klicken, finden Sie alle seine Halleluja-Kolumnen.

Fragen oder Anregungen? Sie erreichen Sam via samurech.ch

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