Wieso wohnen keine afghanischen Flüchtlinge bei mir?
Das Wichtigste in Kürze
- Sam Urech aus dem Zürcher Oberland ist Halleluja-Kolumnist auf Nau.ch.
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Aufgeheizt von den schrecklichen Bildern aus Kabul wollte ich heute voller Tatendrang titeln: «Bringt die afghanischen Flüchtlinge hierher!»
Ich begann die Kolumne zu schreiben und wurde dabei immer nachdenklicher. Will ich wirklich mehr Afghanen hier bei mir? Ähm, nein, wenn ich ehrlich bin.
In unserer Wohnung hätten noch Menschen Platz. Wir könnten also Flüchtenden helfen – tun es aber nicht. Wieso nicht?
Andere sollen helfen
Unangenehme Gedanken, schnell wegfegen: «So wichtig, dass diesen Menschen geholfen wird. Aber nicht hier bei uns – das sollen bitteschön andere machen.»
Und weiter: «Wir haben doch unsere eigenen Sorgen – was können wir dafür, was in Afghanistan passiert? Zudem passen diese Menschen mit ihren Wertvorstellungen gar nicht hierher.»
Sollen in der Schweiz lebende Afghanen ihre Verwandten nachholen dürfen?
Phu. Wirklich entlastend sind diese Ausreden nicht, wenn ich sehe, dass eine verzweifelte Mutter ihr Kind über einen Zaun in die Arme von US-Soldaten gibt.
Oder wenn ich höre, dass ein Flugzeug wegen Leichenteilen im Fahrwerk in einem Nachbarland von Afghanistan zwischenlanden musste.
Sofort nach Kabul gehen?
Menschlichkeit ist keine Frage von Politik – von links oder rechts. Menschlichkeit ist auch keine Frage von Glaube und Religion. Menschlichkeit ist das, was uns zu Menschen macht. Wer diese Menschlichkeit verliert, verliert alles.
Was tun? Meine Familie zurücklassen, nach Afghanistan fliegen und gegen die Taliban kämpfen? Macht null Sinn.
Was ich meines Erachtens machen sollte: Mich diesen Bildern aus Kabul stellen und zulassen, dass sie mich erschüttern. Nicht mit billigen Ausreden wegdrängen!
Zulassen, dass dieser Schrecken meine innersten Ängste weckt. Zulassen, dass meine Menschlichkeit auf den Prüfstand gestellt wird.
Mehr Liebe für Flüchtlinge
Und dann abwägen, wie wichtig ich mir selbst bin und wie viel Platz da in meinem Herzen für fremde Menschen aus Krisenländern bleibt. Oder überhaupt für andere Menschen.
So wie ich die Bibel verstehe, ist nicht unser wichtigste Auftrag, die Welt zu retten und jedes Unrecht zu bekämpfen. Sondern Gott und die Menschen zu lieben, wie uns selbst.
Was das bedeutet, darf jeder selbst für sich herausfinden. Ich zumindest kann mit Sicherheit sagen, dass ich mir wünschte, es gäbe mehr Raum in meinem Herzen für Flüchtlinge.
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Zum Autor:
Sam Urech ist 37-jährig, verheiratet und Vater von zwei Buben. Mit seiner Familie besucht er die Freikirche FEG Wetzikon. Sam ist selbstständiger Kommunikationsberater und in Ausbildung zum Seelsorger.
Er liebt seine Familie, Gimmelwald, Schwarzmönch Black Ale, den EHC Wetzikon, Preston North End und vor allem Jesus Christus. Sam schreibt wöchentlich auf Nau.ch über seine unverschämt altmodischen Ansichten. Wenn Sie hier klicken, finden Sie alle seine Halleluja-Kolumnen.
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