Zuerst verlieren Vermögende viel Geld an den Börsen. Doch unter dem Strich sind es die unteren Schichten, die wegen des Coronavirus leiden, zeigt eine Analyse.
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Das Coronavirus stellt die Welt auf den Kopf. - pixabay

Das Wichtigste in Kürze

  • Weil die Börsen nachgeben, verlieren Reiche mehr durch die Coronakrise als Arme.
  • Langfristig schadet das Coronavirus aber den tieferen Schichten mehr - und zwar mehrfach.
  • Für die Sozialforscher der Uni Bern ist deshalb wichtig, dass es griffige Massnahmen gibt.
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Gute Nachrichten in schwierigen Zeiten: Die Vermögensungleichheit geht in der Coronakrise zurück, die Kluft zwischen arm und reich wird kleiner. Die Sache hat allerdings einen Haken.

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Das Verhältnis von privatem Kapital zum Einkommen der Gesamtvolkswirtschaft zwischen 1870-2010 in Europa. Grosse Krisen wie die Weltkriege führten zu einer starken Abnahme der Ungleichverteilung der Vermögen. - Piketty

Prof. Dr. Oliver Hümbelin, Ungleichheits-Forscher an der Berner Fachhochschule, und Dr. Rudolf Farys, Soziologie-Assistenzprofessor der Uni Bern, untersuchten den Zusammenhang von Börsenkursen und Vermögen.

Die beiden Sozialwissenschaftler griffen auf die Daten der Eidgenössischen Steuerverwaltung zurück. Die Zahlen ab 2017 basieren auf einem statistischen Modell, das den Zusammenhang zwischen dem Schweizer Börsenindex SMI und der Vermögensungleichheit erfasst.

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Die Entwicklung der Vermögens-Ungleichheit in der Schweiz. Der Gini-Koeffizient zeigt das Mass der Ungleichheit an: 0 bedeutet alle besitzen gleich viel, 1 bedeutet eine Person besitzt alles. Während die Schweiz beim Einkommen relativ gleich verteilt ist (etwa 0,25-0,3), weist die Verteilung der Vermögen ein grosses Ungleichgewicht auf (0,8-0,9). - Oliver Hümbelin/inequalities.ch

«Ganz unmittelbar ist davon auszugehen, dass die Corona-Krise zu einer Reduktion der Vermögensungleichheit geführt hat», so BFH-Professor Oliver Hümbelin. «Denn Wertschriften bilden vor allem für reiche Schichten einen nennenswerten Anteil am Vermögen. Durch die Kursrückgänge an den Börsen sinkt nun das Vermögen der Reichen und damit auch - rein rechnerisch - die Ungleichheit.»

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Die Entwicklung des Swiss Market Index SMI über die letzten sechs Monate. - Google

Allerdings geht Hümbelin davon aus, dass der Effekt kurzfristig war, die Börsenkurse hatten sich zwischenzeitlich erholt. «Es ist wahrscheinlich, dass danach die Vermögensungleichheit wieder zunimmt, wie es in den vorangehenden Jahren der Fall war.» Der Effekt der Coronakrise im Verhältnis zur bestehenden Vermögensungleichheit sei wohl eher marginal.

Die Frage ist nicht, was bei den Reichen passiert

Für Oliver Hümbelin ist aber klar, dass diese Sichtweise zu kurz greift. Denn die Entwicklung der Vermögensungleichheit zeige vor allem was bei den Reichen, aber kaum, was bei den Armen passiere.

«Man stelle sich einen Haushalt vor, der keinerlei Vermögen hat, aber nun durch die Krise getroffen wird – beispielsweise durch Kurzarbeit, Zwangsurlaub oder Jobverlust. Dies wirkt sich auf die Messung des Vermögens kaum oder gar nicht aus, hat aber weitreichende Einschnitte in die ökonomische Situation dieses Haushalts zur Folge.» Es sei daher wichtiger, auch die Einkommenssituation anzuschauen.

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Oliver Hümbelin forscht zu Armut, Wohlfahrtsstaat sowie soziale Ungleichheit. - bfh

Dann sei es vielmehr möglich, dass die Coronakrise den Graben zwischen arm und reich vergrössere. Denn hochqualifizierte Berufe seien vom Lockdown wenig tangiert, so Hümbelin.

Tiefere soziale Schichten sind stärker betroffen

«Viele Menschen arbeiten mehr oder weniger normal im Home-Office weiter. Einzelne Wirtschaftsbereiche wie die Pharmabranche haben vielleicht sogar einen Schub erlebt.» Dagegen seien Menschen aus tiefen sozioökonomischen Schichten sehr viel stärker betroffen.

«In der Gastronomie, der Event- und der Kulturbranche bzw. ganz allgemein den Face-to-Face Dienstleistungsberufen arbeiten sehr viele Menschen mit tiefen Einkommen. Durch das Berufsverbot sind sie direkt von den Einschränkungen betroffen.» Die damit verbundenen Folgen für diese Menschen seien stark davon abhängig, welche staatlichen Massnahmen ergriffen würden.

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Eine Verkäuferin trägt eine Schutzmaske in einem Supermarkt. - dpa

Der Lockdown sei für Wohlhabende indes einfacher auszuhalten, so Hümbelin. «Sie verfügen über mehr Wohnraum und häufig auch über einen Garten. Für Menschen mit wenig Geld ist die Krise bedrohlicher, weil ihnen in der Regel weniger Quadratmeter pro Person zur Verfügung stehen.» Der öffentliche Raum, wie Pärke und Aussenanlagen, kann nicht als Ausgleich genutzt werden.

Je reicher, desto gesünder

Wohlhabende sind zudem gesünder als ärmere Menschen. Letztere würden daher eher chronische Erkrankungen entwickeln und sind eher gefährdet. «Menschen mit tiefem sozioökonomischem Status gehören bereits ab 55 zur Risikogruppe» und nicht erst mit 65, sagt Hümbelin mit Bezug auf entsprechende Studien.

Der Bundesrat habe zwar auf die negativen Auswirkungen der Coronakrise reagiert und einen Arbeitslosenanstieg wie etwa in den USA verhindern können. Hümbelin bezweifelt aber, dass das wirtschaftliche Leben nach der Lockerung sofort wieder anspringt.

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Die USA kennt keine Kurzarbeit, dafür ist die Hire&Fire-Kultur weit verbreitet. Die Arbeitslosenzahlen sind entsprechend rasant in die Höhe geschnellt. Wer den Job verliert, ist meist auch nicht mehr krankenversichert.
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Gemäss den Erhebungen des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO) waren in der Schweiz Ende März 2020 135’624 Arbeitslose bei den Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) eingeschrieben, 17’802 mehr als im Vormonat. Die Arbeitslosenquote stieg damit um 0,4 Punkte auf 2,9%. Gegenüber dem Vorjahresmonat erhöhte sich die Arbeitslosigkeit um 23’283 Personen (+20,7%).

«Selbst wenn Verbote gelockert werden, ist fraglich, ab wann die Menschen wieder unbeschwert ins Kino, Restaurant oder an eine Grossveranstaltung gehen.» Es bleibe eine Restunsicherheit. Bis es eine Impfung gebe, werden sich die Menschen mit Vorsicht im Öffentlichen Raum bewegen.

Das bedeute wirtschaftliche Einbussen, wiederum speziell in der Service-Branche. «Daraus können langfristige Schäden der Wirtschaft entstehen, die Menschen aus tiefen Einkommensschichten stärker betreffen.»

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