Corona-Krise verringert die Vermögens-Ungleichheit nur scheinbar
Zuerst verlieren Vermögende viel Geld an den Börsen. Doch unter dem Strich sind es die unteren Schichten, die wegen des Coronavirus leiden, zeigt eine Analyse.
Das Wichtigste in Kürze
- Weil die Börsen nachgeben, verlieren Reiche mehr durch die Coronakrise als Arme.
- Langfristig schadet das Coronavirus aber den tieferen Schichten mehr - und zwar mehrfach.
- Für die Sozialforscher der Uni Bern ist deshalb wichtig, dass es griffige Massnahmen gibt.
Gute Nachrichten in schwierigen Zeiten: Die Vermögensungleichheit geht in der Coronakrise zurück, die Kluft zwischen arm und reich wird kleiner. Die Sache hat allerdings einen Haken.
Prof. Dr. Oliver Hümbelin, Ungleichheits-Forscher an der Berner Fachhochschule, und Dr. Rudolf Farys, Soziologie-Assistenzprofessor der Uni Bern, untersuchten den Zusammenhang von Börsenkursen und Vermögen.
Die beiden Sozialwissenschaftler griffen auf die Daten der Eidgenössischen Steuerverwaltung zurück. Die Zahlen ab 2017 basieren auf einem statistischen Modell, das den Zusammenhang zwischen dem Schweizer Börsenindex SMI und der Vermögensungleichheit erfasst.
«Ganz unmittelbar ist davon auszugehen, dass die Corona-Krise zu einer Reduktion der Vermögensungleichheit geführt hat», so BFH-Professor Oliver Hümbelin. «Denn Wertschriften bilden vor allem für reiche Schichten einen nennenswerten Anteil am Vermögen. Durch die Kursrückgänge an den Börsen sinkt nun das Vermögen der Reichen und damit auch - rein rechnerisch - die Ungleichheit.»
Allerdings geht Hümbelin davon aus, dass der Effekt kurzfristig war, die Börsenkurse hatten sich zwischenzeitlich erholt. «Es ist wahrscheinlich, dass danach die Vermögensungleichheit wieder zunimmt, wie es in den vorangehenden Jahren der Fall war.» Der Effekt der Coronakrise im Verhältnis zur bestehenden Vermögensungleichheit sei wohl eher marginal.
Die Frage ist nicht, was bei den Reichen passiert
Für Oliver Hümbelin ist aber klar, dass diese Sichtweise zu kurz greift. Denn die Entwicklung der Vermögensungleichheit zeige vor allem was bei den Reichen, aber kaum, was bei den Armen passiere.
«Man stelle sich einen Haushalt vor, der keinerlei Vermögen hat, aber nun durch die Krise getroffen wird – beispielsweise durch Kurzarbeit, Zwangsurlaub oder Jobverlust. Dies wirkt sich auf die Messung des Vermögens kaum oder gar nicht aus, hat aber weitreichende Einschnitte in die ökonomische Situation dieses Haushalts zur Folge.» Es sei daher wichtiger, auch die Einkommenssituation anzuschauen.
Dann sei es vielmehr möglich, dass die Coronakrise den Graben zwischen arm und reich vergrössere. Denn hochqualifizierte Berufe seien vom Lockdown wenig tangiert, so Hümbelin.
Tiefere soziale Schichten sind stärker betroffen
«Viele Menschen arbeiten mehr oder weniger normal im Home-Office weiter. Einzelne Wirtschaftsbereiche wie die Pharmabranche haben vielleicht sogar einen Schub erlebt.» Dagegen seien Menschen aus tiefen sozioökonomischen Schichten sehr viel stärker betroffen.
«In der Gastronomie, der Event- und der Kulturbranche bzw. ganz allgemein den Face-to-Face Dienstleistungsberufen arbeiten sehr viele Menschen mit tiefen Einkommen. Durch das Berufsverbot sind sie direkt von den Einschränkungen betroffen.» Die damit verbundenen Folgen für diese Menschen seien stark davon abhängig, welche staatlichen Massnahmen ergriffen würden.
Der Lockdown sei für Wohlhabende indes einfacher auszuhalten, so Hümbelin. «Sie verfügen über mehr Wohnraum und häufig auch über einen Garten. Für Menschen mit wenig Geld ist die Krise bedrohlicher, weil ihnen in der Regel weniger Quadratmeter pro Person zur Verfügung stehen.» Der öffentliche Raum, wie Pärke und Aussenanlagen, kann nicht als Ausgleich genutzt werden.
Je reicher, desto gesünder
Wohlhabende sind zudem gesünder als ärmere Menschen. Letztere würden daher eher chronische Erkrankungen entwickeln und sind eher gefährdet. «Menschen mit tiefem sozioökonomischem Status gehören bereits ab 55 zur Risikogruppe» und nicht erst mit 65, sagt Hümbelin mit Bezug auf entsprechende Studien.
Der Bundesrat habe zwar auf die negativen Auswirkungen der Coronakrise reagiert und einen Arbeitslosenanstieg wie etwa in den USA verhindern können. Hümbelin bezweifelt aber, dass das wirtschaftliche Leben nach der Lockerung sofort wieder anspringt.
«Selbst wenn Verbote gelockert werden, ist fraglich, ab wann die Menschen wieder unbeschwert ins Kino, Restaurant oder an eine Grossveranstaltung gehen.» Es bleibe eine Restunsicherheit. Bis es eine Impfung gebe, werden sich die Menschen mit Vorsicht im Öffentlichen Raum bewegen.
Das bedeute wirtschaftliche Einbussen, wiederum speziell in der Service-Branche. «Daraus können langfristige Schäden der Wirtschaft entstehen, die Menschen aus tiefen Einkommensschichten stärker betreffen.»