Der Trend zum Coworking boomt
Das Wichtigste in Kürze
- Immer mehr Menschen arbeiten in einer Bürogemeinschaft, im Fachjargon Coworking genannt.
- Häufigster Grund sind knappe Büroflächen zu hohen Preisen.
Räume im Industrie-Design mit nackten Wänden, minimalistische Lampen, offene Rohre an der Decke, freie Schreibtische und eine Café-Bar: Einst arbeiteten Kreative an der amerikanischen Westküste in Coworking-Büros, geteilten Flächen mit Konferenzräumen und Orten zur Begegnung. Der Gedanke in damals noch weit weniger stylishen Zeiten: sich vernetzen, gemeinsam auf neue Ideen kommen – und mit gemieteten Schreibtischen Geld sparen.
Heute sind Coworking-Büros längst aus der Nische der Digital-Nerds und armen Gründer gewachsen. Immer mehr Anbieter wie WeWork aus New York (USA) oder Mindspace aus Israel eröffnen in deutschen Grossstädten Flächen mit angesagten Vintage-Möbeln, die es bisher eher in Metropolen wie New York (USA), London, Amsterdam und Dublin gab.
«Die Coworking-Branche ist 2017 durchgestartet», sagt José Martínez, Niederlassungsleiter des Immobilien-Spezialisten BNP Paribas Real Estate in Frankfurt (D). In der Finanzstadt seien elf Mietverträge abgeschlossen worden – mehr als in den neun Vorjahren zusammen. Mit einer vertriebenen Coworking-Fläche von 50'000 Quadratmetern liege Frankfurt (D) auf Platz zwei hinter der Gründer-Hochburg Berlin.
Rasantes Wachstum
Coworking-Anbieter seien plötzlich eine Top-Zielgruppe für grosse Büroverträge: «Auch fast jedes neue Hochhaus berücksichtigt Coworking-Flächen.» Ausserdem würden oft grosse Flächen vermietet. Im Frankfurter Eurotheum-Turm etwa gingen 3300 Quadratmeter mit 450 Arbeitsplätzen an Mindspace. Die Entwicklung überrascht Martínez: «Die Konzepte spielten bis 2016 praktisch keine Rolle in Frankfurt.»
Auch bundesweit zeigt der Trend steil nach oben. 2017 haben sich Coworking-Flächen in den sieben grössten deutschen Städten binnen Jahresfrist verfünffacht, zeigen Zahlen der Beratungsgesellschaft Colliers. Sie stünden immerhin für 5 Prozent des Marktvolumens.
Dabei sind es längst nicht mehr nur klamme Gründer, die geteilte Büros anmieten. Viele etablierte Firmen wollen sich im Umfeld von Kreativen gern als cooler Arbeitgeber positionieren. «Einige grosse Unternehmen mieten Coworking-Büros, um von der Nähe zu Start-ups zu profitieren», erklärt der Bundesverband Deutsche Startups. Manche Anbieter nutzten das als Verkaufsargument für Coworking.
In Frankfurt (D) sind klassische, grosse Arbeitgeber schon die grössten Nachfrager vor Start-ups, erklärt Martínez. Sie kämen aus verschiedenen Branchen. Bei WeWork steht etwa Microsoft unter Vertrag, bei Mindspace Samsung.
Knappe Büroflächen in Zentrumslage
Die Unternehmen handeln aber nicht nur aus Image-Gründen. Mit dem langen Wirtschaftsaufschwung werden Büros in attraktiven Lagen deutscher Grossstädte Mangelware. In den grössten deutschen Städten stünden nur noch fünf Prozent der Flächen leer, halb so viel wie 2010, berichtete zuletzt der Zentrale Immobilien-Ausschuss (ZIA).
Zwar gibt es in Randlagen reichlich freie Büros, doch viele Firmen wollen lieber die schicken im Zentrum. So weichen sie auf Coworking aus. «Coworking-Zentren übernehmen vor allem in grösseren, angespannten Märkten eine Pufferfunktion», sagt Colliers-Expertin Susanne Kiese.
Dabei gehen viele Mieter in die Vollen. «Sie zahlen für die Flexibilität überdurchschnittlich hohe Mieten und achten auf das Design der Büros», sagt Martínez. Dafür kalkulierten Unternehmen in Coworking-Zentren oft nur mit fünf bis sechs Quadratmetern pro Mitarbeiter, weil sie Gemeinschaftsräume berücksichtigten.
Coworking-Anbieter wiederum nehmen den Unternehmen fast alles ab. Sie stellen nicht nur Schreibtische, Telefone und Konferenzräume sowie schnelles Internet, sondern auch allerlei Service: Kaffeemaschinen und Wassersprudler sind meist ebenso Standard wie Mikrowellen, Fahrradstellplätze, Putz- und Empfangspersonal.
Ende des Booms nicht absehbar
Das hat dann auch seinen Preis. Bei WeWork kostet ein Schreibtisch in den zentralen Büros am Frankfurter Goetheplatz und in der Taunusanlage schon 360 Franken pro Monat. Garantiert ist aber nur die Verfügbarkeit. Ein eigener Platz, um den Laptop am selben Ort aufzuklappen, macht gut 450 Franken, ein privates Büro für Teams 630 bis über 675 Franken. Solche Preise sind für Gründer schon sportlich.
Auch der einstige Coworking-Gedanke vom kreativen Umfeld ist in den Hintergrund getreten, zeigt die Studie von Colliers. Stattdessen dominieren die Argumente Verfügbarkeit, Lage und Flexibilität.
Werden Coworking-Plätze nun zur Norm in deutschen Firmen, so wie einst Grossraum-Büros nach amerikanischem Vorbild Einzug erhielten? Coworking werde mit der Digitalisierung und dem Trend zum flexiblen Arbeiten zunehmen, meint Expertin Kiese. Sie sieht erst den «Beginn einer Expansionswelle». Martínez gibt indes zu bedenken, dass sich die Lage bei einer schwächeren Konjunktur schnell ändern kann. «Dann sind Unternehmen mit flexiblen Verträgen die ersten, die kündigen», meint er. «Ein Ende des Booms ist aber noch nicht abzusehen.»