Hochwasserschutz: Alte Schweizer Technologie neu gedacht
Ende März wurde in Steffisburg eine neuartige Wasserschöpfanlage in Betrieb genommen. Sie sichert die Wasserversorgung in einem Nebenfluss der Zulg.

Das Wichtigste in Kürze
- Ein neues Schöpfrad versorgt den Mühlebach in Steffisburg mit Wasser.
- Das Wasserrad basiert auf dem Konzept eines Schweizer Ingenieurs aus dem 19. Jahrhundert
- Die Empa passte das historische Konzept an die Anforderungen von heute an.
Um Steffisburg im Kanton Bern besser vor Hochwasser zu schützen, wurde die Zulg bei der Müllerschwelle um rund zwei Meter abgesenkt. Dennoch bleibt der Mühlebach weiterhin mit Wasser versorgt: Eine neuartige Wasserschöpfanlage pumpt das Wasser nach oben und leitet es in den Nebenfluss der Zulg. Angetrieben allein durch Wasserkraft, dreht sich ein über fünf Meter grosses Wasserrad – und bewegt über ein Zahnradgetriebe ein Schöpfrad, das rund 150 Liter Wasser pro Sekunde in eine Sammelrinne schüttet. Am 29. März wurde die historisch inspirierte Konstruktion offiziell eingeweiht und in Betrieb genommen.
Der Mühlebach prägt seit Jahrhunderten das Ortsbild von Steffisburg. Die neue Wasserschöpfanlage sorgt dafür, dass er auch in Zukunft Wasser führt. Ursprünglich war eine elektrische Schneckenpumpe geplant, doch die Ingenieure suchten nach einer nachhaltigeren Lösung. Inspiration fanden sie in Glattfelden im Zürcher Unterland: Dort versorgt ein Wasserschöpfrad nach historischem Vorbild den Flusslauf mit Wasserkraft. Eine ähnliche Lösung erwies sich auch für Steffisburg als ideal – nachhaltig dank erneuerbarer Antriebsenergie und gleichzeitig eine Attraktion für den Industrielehrpfad «Mühlebachweg» mit der historischen «Saagi» und dem «Fabriggli».
Mehr als 125 Liter pro Sekunde
Silvain Michel von der Empa hat das Wasserschöpfrad konzipiert. Die technische Herausforderung bestand darin, die Wasserschöpfanlage an die Anforderungen in Steffisburg anzupassen. «Sie muss bei einem minimalen Abfluss der Zulg von einem Kubikmeter pro Sekunde mindestens 125 Liter Wasser in den Mühlebach speisen.» An bestimmten Tagen benötigt der Schaubetrieb der «Saagi am Mühlebach» sogar 150 Liter pro Sekunde.
Da traditionelle Schöpfräder für die Gegebenheiten von Steffisburg nicht leistungsfähig genug waren, entwickelte Silvain Michel eine moderne Variante eines historischen Konzepts: das Zuppinger-Rad. Diese weitgehend in Vergessenheit geratene Konstruktion des Schweizer Ingenieurs Walter Zuppinger stammt aus dem Jahr 1849. Das Wasserrad wurde speziell für geringe Gefälle optimiert. Seine hohe Effizienz wurde jedoch erst 2016 in aufwendigen Modellversuchen an der TU Darmstadt wissenschaftlich nachgewiesen und 2018 von der Universität Stuttgart bestätigt.
Auch Erfahrungen aus dem Glattfelden-Projekt flossen in das neue Konzept ein. Der entscheidende Unterschied: ein separates Antriebsrad, das über ein Zahnradgetriebe das Schöpfrad antreibt. «So kann jedes Rad mit seiner optimalen Drehzahl laufen – eine Voraussetzung für den maximalen Wirkungsgrad der Anlage», erläutert Michel, der die exakte Dimensionierung mithilfe selbst entwickelter Berechnungstools ermittelt hat.
Dass das Konzept funktioniert, bewies die Inbetriebnahme: Vor den Augen zahlreicher Gäste erreichte die Anlage die berechnete Leistung von bis zu 6,7 Kilowatt. Sie konnte bis zu 209 Liter Wasser pro Sekunde fördern – mehr als ausreichend für den Betrieb der historischen «Saagi».