Instagram & Co: Chefs und Politiker plötzlich ganz volksnah?
Das Wichtigste in Kürze
- Nach Politikern äussern sich auch Firmenchefs vermehrt auf sozialen Medien.
- Eine gepflegte Diskussion werde so erschwert, glaubt Politwissenschafter Lukas Golder.
Vor einer Woche wagte Tidjane Thiam die Flucht nach vorn. Weil ihm ein Artikel in der «NZZ am Sonntag» nicht passte, wehrte der Chef der Credit Suisse sich auf Instagram.
Er glaube an die Medienfreiheit, schrieb der Spitzenmanager auf dem sozialen Netzwerk. «Doch die Anschuldigungen sind falsch und diffamierend.»
Es ist das erste Mal, dass der CS-Chef die Plattform nutzt, um seine Sicht der Dinge darzustellen. Den ersten Post hat Thiam erst Mitte Januar abgesetzt.
Die Nachricht wurde von den Medien aufgegriffen und Thiams Sichtweise verbreitet. Ein voller Erfolg für den Banker.
Auch UBS-Chef Ermotti twittert
Thiam ist nicht der erste Firmenchef, der seine Botschaften über soziale Netzwerke verbreitet. UBS-Chef Sergio Ermotti ist seit 2019 auf Twitter. Einen seiner ersten Posts verfasste er, um gegen die Berichterstattung um die Steueraffäre in Frankreich vorzugehen.
Dass Firmenchefs auf sozialen Medien Stellung beziehen, ist ungewöhnlich. Auch, weil die Öffentlichkeitsarbeit in der Regel die Pressestellen der Unternehmen übernehmen.
Anders sieht es bei Politikern aus. Hier ist die Kommunikation via soziale Netzwerke mittlerweile Standard.
FDP-Nationalrat Andri Silberschmid beackert aktiv seinen Instagram-Account, während die Grüne Meret Schneider sich über Facebook äussert. Und ein Twitter-Account gehört in Bundesbern – auch bei gestandenen Politikern – längst zum guten Ton.
SVP-Grössen setzten auf Youtube
Auch andere Kanäle werden genutzt, um eigenen Botschaften zu verbreiten. SVP-Urgestein Christoph Blocher betreibt mit Teleblocher seit 2007 einen Internet-Kanal. Regelmässig neue Inhalte kriegen auch die Youtube-Kanäle von der SVP-Nationalräte Thomas Matter und Roger Köppel.
In der Schweiz noch nicht ganz angekommen sind Politiker-Podcasts. Diese haben aktuell in den USA Hochkonjunktur. Der Senator und ehemalige Präsidentschafts-Kandidat Ted Cruz nutzt aktuell den Kanal, um mit dem Trump-Impeachment abzurechnen. Ebenso Trumps Anwalt Rudy Giuliani.
Egal ob Instagram, Twitter, Facebook, Youtube oder Podcasts. Öffentliche Personen haben immer das Ziel, ihre Sichtweise zu verbreiten.
Eigentlich ein alter Hut, findet Lukas Golder, Co-Leiter des Forschungsinstituts gfs.bern. «Die direkte, persönliche Ansprache von Wähler geht bis auf die griechische Agora zurück.» Zu den Pionieren der sozialen Netzwerke zählt Golder den Ex-US-Präsidenten Barack Obama, aber auch SVP-Vordenker Christoph Blocher.
Gerade im politischen Diskurs sieht Golder die sozialen Medien kritisch: «Es besteht die Gefahr von Ein-Person-Parteien und Ein-Person-Medien.»
Dass Journalisten durch die sozialen Netzwerke umgangen werden, erschwere eine gepflegte Diskussion, glaubt der Politwissenschafter. «Journalisten schneiden in Beliebtheitsskalen oft schlecht ab.» Ihr Wert für die Demokratie werde aber unterschätzt.
Golder beurteilt die Lage in den USA allerdings anders als in der Schweiz. Dort seien die Medien stärker zerfallen. «Es fehlt schon lange an guten privaten Medien und Zeitungen, die nicht ideologisch geprägt sind.»