Ist die Inflation nach der EZB-Zinssenkung überwunden?
Weltweit fahren Notenbanken ihre Mittel im Kampf gegen die Inflation zurück. Ist es also vorbei mit der Teuerung?
Das Wichtigste in Kürze
- Die Europäische Zentralbank senkte letzten Donnerstag ihren Leitzins.
- Weltweit machen Notenbanken Zinserhöhungen zur Inflationsbekämpfung rückgängig.
- Laut Ökonomen ist die Teuerung noch nicht überwunden – sie dürfte sich aber abschwächen.
Die Chefin der Europäischen Zentralbank (EZB), Christine Lagarde, verkündete am Donnerstag, was lange erwartet und von Kreditnehmenden herbeigesehnt wurde: Die EZB senkte ihren Leitzins um 0,25 Prozentpunkte auf 3,75 Prozent.
Auf der Marke von vier Prozent verharrte der Einlagenzins, den Banken für Kredite erhalten, neun Monate lang. Zuvor hatte es seit Juli 2022 ganze zehn (!) Zinserhöhungen in Folge gegeben.
Seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs Anfang 2022 erhöhten diverse Notenbanken ihre Leitzinsen immer weiter. Damit wollten sie der anhaltenden Inflation entgegenwirken.
Die Hoffnung: Ein höherer Leitzins macht es teurer und somit weniger attraktiv, Kredite aufzunehmen. Die Geldmenge am Markt sinkt, was sich positiv auf die Preisentwicklung auswirkt.
Mit ihrem Zinsentscheid vollzieht die EZB nun also eine Kehrtwende – und sie ist nicht allein: Die Schweizerische Nationalbank (SNB) senkte ihren Leitzins bereits im März. Mittel zur Inflationsbekämpfung werden allmählich zurückgefahren.
Ist die Teuerung also endlich überwunden? Topökonomen nehmen bei Nau.ch Stellung – und sind sich nicht in allen Punkten einig.
Ökonom: «Teuerung in der Schweiz unter Kontrolle»
Tatsächlich sei die Teuerung in der Schweiz wieder unter Kontrolle, sagt der Chefökonom der Raiffeisen-Bank, Fredy Hasenmaile, auf Anfrage. Er gibt sich zuversichtlich: «Zuletzt stieg sie zwar wieder an und liegt im oberen Bereich von dem, was als Preisstabilität bezeichnet wird. Wir sehen aber wenig Risiken, dass sie diesen Bereich verlässt. Für das Jahr 2025 rechnen wird damit, dass sich die Inflation weiter abschwächt.»
Dass die Inflation in der Schweiz im Zielbereich liegt, bestätigt gegenüber Nau.ch auch der Chefökonom des Lebensversicherers SwissLife, Marc Brütsch. Er erwartet ebenfalls eine Abschwächung im nächsten Jahr. «Die Teuerung liegt aber immer noch rund einen Prozentpunkt höher als im Durchschnitt der Jahre 2009 bis 2019.»
Etwas weniger optimistisch zeigt sich der Chefökonom der Zürcher Kantonalbank, David Marmet. Er vermute, die Teuerung in der Schweiz werde ein Thema bleiben – er schliesse einen Wiederanstieg der Inflationsrate nicht aus. Der Experte begründet dies mit der Erhöhung des Referenzzinssatzes und dem damit verbundenen Anstieg der Wohnungsmieten.
Inflation in der Schweiz schwächer als in der Eurozone
Die Inflation fiel in der Schweiz schwächer aus als beispielsweise in der Eurozone. Das hat laut Fredy Hasenmaile viel mit dem Lohnwachstum zu tun, das unter der 2-Prozent-Schwelle geblieben sei. Die Löhne sind in der Schweiz also weniger stark gestiegen.
Die Ökonomen glauben deshalb auch nicht, dass es in naher Zukunft regelmässig zu grossen Zinssenkungen durch die SNB kommen wird. Dies ist für David Marmet gar nicht möglich, weil der Spielraum hierzulande kleiner sei. Marc Brütsch ergänzt: «Die Nationalbank erhöhte ihre Zinsen weniger stark als beispielsweise die EZB. Deshalb wird die SNB sie auch nicht gleich stark senken.»
Der Raiffeisen-Chefökonom Fredy Hasenmaile sieht die Eurozone auch vor deutlich grösseren Herausforderungen. «Aufgrund der stärkeren Lohndynamik bleibt der Preisdruck hoch. Die Inflation dürfte auch in der Eurozone in den Zielbereich zurückkehren. Es dürfte aber deutlich länger dauern.»