Durch den Fachkräftemangel müssen Firmen bei der Personalsuche kreativ werden: Während die Bahn direkt an den Arbeitsort einlädt, setzen andere Unternehmen auf Express-Vorstellungsrunden.
Die «Job-Welt» der Deutschen Bahn am Frankfurter Hauptbahnhof.
Die «Job-Welt» der Deutschen Bahn am Frankfurter Hauptbahnhof. - Boris Roessler/dpa

Das Wichtigste in Kürze

  • Sich mit Blick auf abfahrende und ankommende Züge über einen Job bei der Bahn informieren oder in nur fünf Minuten ein Bewerbungsgespräch führen? Um trotz angespannter Lage auf dem Arbeitsmarkt neue Mitarbeiter zu finden, nutzen immer mehr Unternehmen kreative Ansätze für die Personalgewinnung.
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Die Deutsche Bahn (DB) setzt in Frankfurt auf eine Anlaufstelle direkt im Hauptbahnhof. «In der DB Job-Welt können Interessierte einfach ohne Termin vorbeikommen und sich in entspannter Atmosphäre ungezwungen über die mehr als 500 Berufe bei der DB informieren», sagt Annamaria Dahlmann, Leiterin der Personalgewinnung im Unternehmen in Hessen, Rheinland-Pfalz und im Saarland.

In einem ehemaligen Reisebüro am Querbahnsteig eröffnete im April 2022 zunächst in Kooperation mit der Arbeitsagentur eine Berufsberatung für ukrainische Geflüchtete. Eine der damals Ratsuchenden ist heute Beraterin in der «DB Job-Welt», die seit Dezember allein von der DB betrieben wird. Zusammen mit einer Kollegin berät die Ukrainerin wochentags mehrsprachig zu Einstiegsmöglichkeiten in den Konzern. «Wir führen hier im Monat 100 bis 150 Beratungen durch. Etwa bei monatlich fünf bis zehn kommt es dann zu einer Einstellung», berichtet Dahlmann.

Vom Manager bis zum Obdachlosen, vom Ausbildungssuchenden bis zum Quereinsteiger seien in der «Job-Welt» schon viele unterschiedliche Menschen beraten worden, berichtet Florian Brech, Projektleiter der «Job-Welt». Die spontanen Anlaufpunkte in Frankfurt und Leipzig gehörten zu den vielen kleinen Bausteinen, um Personal zu gewinnen. In Hessen will die DB jährlich rund 5000 neue Mitarbeiter einstellen, deutschlandweit über 25.000.

Viele Stellen bleiben unbesetzt

Nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums können in Deutschland aktuell 630.000 offene Stellen nicht mit Fachkräften besetzt werden. Während immer mehr Menschen in Rente gehen, kommt durch den demografischen Wandel immer weniger Nachwuchs nach, und viele Stellen bleiben unbesetzt. Bis zum Jahr 2060 könnte ohne Zuwanderung jede dritte heute verfügbare Arbeitskraft in Deutschland fehlen, erwartet das Ministerium.

«Wir bewerben uns als Unternehmen mit dem Angebot auch ein Stück weit bei den Menschen und gehen damit auf sie zu», sagt Dahlmann. Dass auch andere Betriebe bei der Personalgewinnung auf Bewerber zugehen sollten, findet auch Steven Hille. «Heute müssen Unternehmen aktiv bei der Bewerbersuche sein», sagt der Projektleiter der Plattform «Stell-mich-ein», die seit 2012 deutschlandweit sogenannte Speed-Recruiting-Events in der Kommunikationsbranche veranstaltet. Kunden der Events, die etwa in Frankfurt, Hamburg und Berlin stattfinden, aber auch digital, sind etwa Agenturen für Design, PR oder Marketing.

Idee und Prinzip gehen dabei auf das Speed Dating zurück. Statt der Partnersuche dreht sich aber alles darum, einen neuen Job oder einen neuen Mitarbeiter zu finden. «Bei den Events lernen 30 Berufseinsteiger und Young Professionals an einem Abend bis zu zehn Agenturen kennen», erklärt Hille das Konzept. Es gilt: Eine Bewerbung – bis zu zehn flotte Vorstellungsgespräche bei verschiedenen Unternehmen, denn jedes Gespräch zwischen Jobsuchendem und Arbeitgeber dauert nur fünf Minuten. Danach wird der Tisch wie beim Speed Dating gewechselt.

Vorauswahl auf Basis von Online-Bewerbungen

Die Vorauswahl aus mehr als 100 Jobsuchenden pro Veranstaltung treffen die Organisatoren auf Basis von Online-Bewerbungen, bei denen berufliche Referenzen und persönliche Ziele abgefragt werden. 1500 Euro zahlen die Firmen für die Teilnahme pro Veranstaltung. Für die Bewerber ist die Teilnahme kostenlos. «Die Unternehmen stellen im Schnitt 1,25 Personen pro Event ein. Jeder dritte Bewerber findet durch die Teilnahme einen Job», sagt Hille. Auch wenn an den Abenden in aller Regel keine Arbeitsverträge unterschrieben werden, seien die Express-Vorstellungsgespräche oft die Basis für Anschlussgespräche.

Durch den Erfolg in der Kommunikationsbranche entstand im Herbst vergangenen Jahres als Kooperation zwischen «Stell-mich-ein» und dem Deutschen Reiseverband ein neues Format für die Tourismusbranche. Die Plattform «easyboarding» setzt das Konzept des Speed Recruiting für Unternehmen in der Touristik um. «Gerade im Tourismus haben sich durch die Corona-Pandemie grosse Lücken beim Personal aufgetan. Die schnelle Personalsuche bei den Events soll bei der Überwindung des Fachkräftemangels helfen», berichtet Hille.

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