Was läuft schief in der Schweizer Landwirtschaft?

Michael Bolzli
Michael Bolzli

Bern,

Wegen tiefen Preisen geben immer mehr Landwirte auf. Ökonom Mathias Binswanger erklärt, wo das Problem liegt. Und was sich ändern muss.

Milchkuh
Milchbauern sind immer mehr unter Druck. - Keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • In den letzten 20 Jahren ging die Zahl der Landwirtschaftsbetriebe um 30 Prozent zurück.
  • Im internationalen Vergleich haben Coop und Migros eine höhere Marge.

Schweizer Milchbauern sind unzufrieden. Sie klagen, dass ihnen die Verarbeiter – anders als versprochen – einen zu tiefen Milchpreis zahlen. Die Verarbeiter weisen die Schuld von sich.

Es ist nur die neuste Episode. Seit Jahren kämpfen Bauern dafür, einen anständigen Preis für die Milch zu erhalten.

Auch für andere Bauern – gerade mit kleinen Höfen – geht die Rechnung oft nicht auf. Die Konsequenz: Immer mehr geben auf. Innert 20 Jahren ist die Zahl der Landwirtschaftsbetriebe um einen Drittel geschrumpft.

Mathias Binswanger
Mathias Binswanger ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule für Wirtschaft der FHNW in Olten und Privatdozent an der Universität St. Gallen. - FHNW

Sind die Rahmenbedingungen also so schlecht? Ökonom Mathias Binswanger hält die Schweizer Landwirtschaftspolitik in ihrer Grundausrichtung in Ordnung. «Allerdings hat sie es nicht geschafft, den Trend der Verlagerung der Wertschöpfung vom Bauernhof in den Handel zu stoppen.»

Schlechte Karten bei freiem Markt

Immer wieder wird die Forderung laut, den Grenzschutz aufzuheben und den freien Markt spielen zu lassen. Besonders die von der Wirtschaft finanzierte Denkfabrik Avenir Suisse macht sich regelmässig dafür stark. Wäre das der Befreiungsschlag für die Bauern?

Binswanger winkt ab. «Bei einem freien Markt wird die Landwirtschaft der Schweiz aber nur in ein paar Nischen überleben.» Bauern würden vom Grenzschutz relativ direkt profitieren, da die Schweiz darum nicht mit billigen Produkten aus dem Ausland überschwemmt werde. «Im Unterschied zu den Direktzahlungen, wo öfters nicht die Bauern von den Zahlungen profitieren, sondern die vor- und nachgelagerten Branchen.»

Kalb
Kälber ruhen sich auf einer Weide im Kanton St. Gallen aus. (Symbolbild) - Keystone

Man müsse versuchen, die Wertschöpfung wieder auf den Bauernhof zurückzuholen, sagt Binswanger. Doch: «Das ist bei der gegebenen Marktsituation für die Landwirte kaum möglich.»

Das Problem zeigt sich auf dem Milchmarkt exemplarisch: Rund 20'000 Milchbauern stehen wenigen grossen Playern gegenüber.

Grosse Macht von Coop und Migros

«Diese Marktmacht der Nachfrager ist in der Schweiz mit den beiden Grossverteilern Migros und Coop besonders stark ausgeprägt», sagt Binswanger. Bauern müssten darum versuchen, ihre Produkte vermehrt direkt an den Konsumenten verkaufen zu können.

Schweizer Konsumenten zahlen im Detailhandel im Vergleich zum Ausland merklich höhere Preise. Das habe wenig mit der Landwirtschaft zu tun, sagt Binswanger.

Coop Migros Coronavirus
Coop und Migros wollen mit verschärften Hygiene- und Schutzkonzepten die Lebensmittelversorgung der Schweiz sicherstellen. - Keystone

Er stützt sich auf Zahlen von Deekeling Arndt Advisors: Laut der Beratungsfirma liegt die Bruttomarge bei der Migros bei rund 40 Prozent, bei Coop bei 30 Prozent. Der internationale Durchschnitt ist mit weniger als 20 Prozent deutlich tiefer.

«Diese hohen Margen lassen sich zum Teil damit erklären, dass Migros und Coop nicht nur Händler, sondern auch Hersteller von Lebensmitteln sind und hohe Lohnkosten haben», sagt Binswanger.

Allerdings würden die überdurchschnittlichen Margen auch mit der grossen Marktmacht von Migros und Coop zusammenhängen. Immerhin teilen die beiden Platzhirsche 70 Prozent des Lebensmittel-Umsatzes der Schweiz unter sich auf. «Im internationalen Vergleich kommen die Schweizer Bauern damit speziell schlecht und der Handel speziell gut weg.»

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