Wirtschaftsweise senken ihre Wachstumsprognose auf nur noch 0,8 Prozent
Das Wichtigste in Kürze
- Sachverständigenrat fordert Unternehmensteuersenkung und Abschaffung des Soli.
Die fünf Wirtschaftsweisen haben daher ihre Wachstumsprognose für das laufende Jahr deutlich gesenkt - von 1,5 Prozent im November auf nur noch 0,8 Prozent. Die Wissenschaftler riefen die Bundesregierung erneut auf, die Unternehmensteuern zu senken und den Solidaritätszuschlag vollständig abzuschaffen.
«Die Hochkonjunktur der deutschen Wirtschaft ist vorerst vorüber», konstatierte der Vorsitzende des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Christoph Schmidt, am Dienstag. Das Expansionstempo habe «merklich nachgelassen».
Mitverantwortlich dafür seien die Produktionsprobleme in der Auto- und Chemieindustrie, die schon Ende 2018 für eine Stagnation gesorgt hatten. Gleichzeitig habe sich auch die «Grunddynamik» der deutschen Wirtschaft verlangsamt: Die Exportnachfrage aus wichtigen Absatzmärkten sei deutlich schwächer, in vielen Branchen seien Kapazitätsgrenzen erreicht.
«Eine Rezession ist angesichts der robusten Binnenkonjunktur aber aktuell nicht zu erwarten», beruhigte Schmidt. Die Anzahl der Erwerbstätigen dürfte laut Sachverständigenrat weiter steigen, die Arbeitslosenquote im Jahresdurchschnitt bei 4,8 Prozent liegen. Die Wissenschaftler rechnen mit steigenden Löhnen und einem moderaten Anstieg der Verbraucherpreise von 1,5 Prozent. Vom privaten Konsum, den Bauinvestitionen und dem Staat dürften daher positive Wachstumsbeiträge ausgehen.
Für das Jahr 2020 erwarten die Wirtschaftsweisen wieder ein deutlich kräftigeres Wachstum um 1,7 Prozent. Allerdings warnten sie am Dienstag vor grossen Risiken: Neben dem unsicheren Ausgang der Brexit-Verhandlungen trügen hierzu insbesondere die ungelösten Handelskonflikte zwischen den USA, Europa und China sowie die Gefahr einer stärker als erwarteten Wachstumsabschwächung in China bei. «Eine Spirale aus protektionistischen Massnahmen» hätte demnach das Potenzial, die deutsche Wirtschaft in eine Rezession abgleiten zu lassen.
Die deutsche Wirtschaft war im vergangenen Jahr um 1,4 Prozent gewachsen. 2017 hatte das BIP um 2,2 Prozent zugelegt.
Die fünf Weisen kritisierten, dass die Bundesregierungen in den guten Jahren seit 2009 nicht genügend finanzielle Polster geschaffen hätten. Steuerpolitische Massnahmen hätten die Regierungen nur ergriffen, wenn sie vom Bundesverfassungsgericht dazu gezwungen worden seien, sagte Lars Feld von der Universität Freiburg. So sei die kalte Progression nur leicht korrigiert worden, die durchschnittliche Steuerbelastung für Unternehmen sei nach oben gegangen. Jetzt bestehe Handlungsbedarf.
Die Wirtschaftsweisen forderten wie schon in den Jahren zuvor eine Senkung der Unternehmensteuern, um diese Besteuerung «auf ein internationales Niveau zu führen», wie Schmidt sagte. Auch müsse der Solidaritätszuschlag wie bei der Einführung versprochen vollständig abgeschafft werden.
Ein Konjunkturprogramm sei aber «nicht angezeigt», sagte Schmidt. Sein Kollege Achim Truger von der Universität Köln mahnte die Regierung allerdings, hier «vorbereitet» zu sein, sollte die Konjunktur weiter abstürzen.
DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell forderte angesichts des sich verlangsamenden Wachstums den Bund auf, «zu klotzen nicht zu kleckern». Statt nach Einsparmöglichkeiten zu suchen, brauche es jetzt ein gross angelegtes Investitionsprogramm für Bildung, Infrastruktur und bezahlbaren Wohnraum.
Kerstin Andreae, Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion für Wirtschaftspolitik, forderte mehr Investitionsanreize und Planungssicherheit für eine zukunftsfähige Wirtschaft durch klare ökologische Leitplanken. Der Vize-Fraktionsvorsitzende der FDP, Michael Theurer, schloss sich den Wirtschaftsweisen an. Neben der Abschaffung des Soli und einer Unternehmenssteuerreform verlangte er einen rascheren Bürokratieabbau sowie ein Einwanderungsgesetzbuch mit Punktesystem und einen flexiblen Renteneintritt.