Krach am Baselbieter Kantonsgericht: Markus Mattle geht
Der Vizepräsident der Abteilung Strafrecht tritt wegen Differenzen mit dem Präsidium per sofort zurück.
Das Wichtigste in Kürze
- Vizepräsident des Baselbieter Kantonsgerichts, Markus Mattle, tritt per sofort zurück.
- Die Grünen müssen jetzt Ersatz für den wichtigen Richterposten finden.
Der Brief ist an den Landrat als Wahlbehörde, die Geschäftsleitung des Kantonsgerichts und die grüne Partei adressiert. Er trägt das Datum vom 15. August und enthält einen einzigen, aber vielsagenden Satz: «Zufolge unüberwindbarer Differenzen mit den Abteilungs-Präsidien trete ich als Vizepräsident der Abteilung Strafrecht per sofort zurück.» Der Verfasser ist Markus Mattle.
Der von den Grünen nominierte Sissacher Anwalt und Notar, der im vergangenen Februar 70 Jahre alt wurde, war seit 25 Jahren im Nebenamt am Kantonsgericht tätig. Die Jahresentschädigung für nebenamtliche Richter liegt bei rund 80'000 Franken.
Verzicht auf mündliche Urteilsbegründung
Dass es zwischen ihm und den beiden Präsidenten der Abteilung, Dieter Eglin (SVP) und Enrico Rosa (Grüne), zu «Differenzen» gekommen war, zeigte ein in der Geschichte der Baselbieter Justiz einmaliger Vorfall, der sich im vergangenen Januar ereignete. Die Dreierkammer des Kantonsgerichts unter Mattles Leitung hielt die Berufungsverhandlung im Zusammenhang mit der ehemaligen Kassiererin der römisch-katholischen Kirchgemeinde Grellingen ab.
Mattle teilte mit, dass das Gericht auf eine öffentliche Bekanntgabe des verschärften Urteils und vor allem auf eine mündliche Begründung in Anwesenheit der Parteien und der verdutzten Medienvertreter verzichte. Man könne das Urteilsdispositiv tags darauf telefonisch abrufen. Schriftliche Urteilsbegründungen folgen in der Regel mehrere Wochen oder Monate später.
Diese seltsame Verkürzung der Verhandlung veranlasste «OnlineReports» zu einem Kommentar mit der Aussage, der Fall sei «ein weiteres Indiz dafür, wie gering Gerichte die Öffentlichkeit schätzen». Dies in einem Fall, der von den Medien von Beginn weg mit grossem Interesse begleitet worden war.
Präsidenten verteidigen Öffentlichkeitsprinzip
Was folgte, war ebenso aussergewöhnlich. In einer Stellungnahme bestätigten die Gerichtspräsidenten der Abteilung Strafrecht, Dieter Eglin und Enrico Rosa, den «OnlineReports»-Kommentar vollumfänglich. Darin betonten sie «das in der Schweizerischen Strafprozessordnung statuierte Öffentlichkeitsprinzip, wozu als Kernstück jeder gerichtlichen Tätigkeit die öffentliche Urteilsverkündung und Urteilsbegründung zählt».
Mattle reagierte kaum wahrnehmbar auf diese präsidiale Belehrung. Intern missbilligte er jedoch die öffentliche Kritik an seiner Verhandlungsführung, betonte aber, er wolle diese «Geschichte nicht unnötig ausweiten», wie Eglin auf Anfrage von «OnlineReports» sagt.
«Inakzeptabel und irritierend»
Dennoch schmeisst Mattle nun den Bettel mit sofortiger Wirkung hin. «Wir sind alle konsterniert und sprachlos und fast vom Stuhl gefallen. Das war wie ein Schuss aus heiterem Himmel», erklärt Eglin und hält fest: «Es ist überhaupt nichts vorgefallen.»
Eglin steht heute noch «zu jedem Wort», das er damals in seinem Kommentar formulierte. Mattle, der «uneinsichtig» geblieben sei, habe mit dem Verzicht auf eine mündliche Urteilsbegründung einen «schwerwiegenden Fehlentscheid» gegen den «verfassungsrechtlichen Auftrag der Medien» getroffen. Mattles Blitz-Rücktrittsentscheid hält Eglin für «vollkommen inakzeptabel und irritierend». In der Abteilung Strafrecht könne das «niemand verstehen».
Mattle gibt Medien keine Auskunft
«OnlineReports» hätte gerne Markus Mattles Sicht der Dinge erfahren und ihm einige Fragen gestellt. Etwa, ob es noch weitere Differenzen mit den Abteilungspräsidien gegeben habe, und ob er deren Stellungnahme als Rückenschuss empfunden habe. Doch Mattle blieb erneut wortkarg: «Meinen Rücktritt kommuniziere ich öffentlich nicht», beschied er «OnlineReports» nach mehrmaligen Kontaktversuchen.
Wie spannungsgeladen das Klima an der Spitze der Strafrechts-Abteilung aus Mattles Sicht sein muss, macht seine Sofort-Demission deutlich. Sie bescherte Präsident Eglin unerwartet personelles Not-Management: Er musste kurzfristig einen Ersatz finden für eine Berufungs-Verhandlung wegen einfacher Körperverletzung, die kommenden Montag beginnt und von Markus Mattle hätte geleitet werden müssen. Den Vorsitz hat nun Susanne Afheldt.
Landrats-Plenum noch nicht informiert
Den Grünen fehlt somit vorläufig ein wichtiger Richterposten. Kantonalpräsident Michael Durrer versichert «OnlineReports», die parteiinterne Gerichtskommission werde sich der Vakanz annehmen und dem Landrat in geeigneter Frist eine Kandidatur vorschlagen.
Das neu gewählte Kantonsparlament ist über die Verwerfung in der Abteilung Strafrecht noch nicht im Bild. Die Information dürfte laut Durrer in der ersten Sitzung nach den Sommerferien erfolgen. Danach werde die Landeskanzlei «den zeitlichen Fahrplan für das weitere Vorgehen» festlegen.
Zum Autor: Dieser Artikel wurde zuerst im Basler Newsportal OnlineReports.ch publiziert. Per 1. Juli haben Alessandra Paone und Jan Amsler übernommen.