Uni Bern: Rekordwerte bei Neutrino-Wechselwirkungen gemessen

Universität Bern
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Bern,

Einem Team mit Beteiligung von Forschenden der Universität Bern ist es gelungen, die Wechselwirkungen von Neutrinos bei bisher unerreichten Energien zu messen.

Hauptgebäude Universität Bern
Das Hauptgebäude der Universität Bern. (Archivbild) - Universität Bern

Der internationalen FASER-Kollaboration, an der auch Forschende des Laboratoriums für Hochenergiephysik der Universität Bern beteiligt sind, ist es gelungen, die Wechselwirkung von Elektron- und Muon-Neutrinos (zwei Unterarten von Neutrinos) mit Atomkernen bei der bisher höchsten Energie (rund 1 Tera-Elektronvolt oder TeV) zu messen.

Die Messung gelang mit dem FASERv-Teilchendetektor des FASER-Experiments, das Neutrinos misst, die bei Teilchenkollisionen im Large Hadron Collider (LHC) des CERN (Europäische Organisation für Kernforschung in Genf) entstehen. Dies ist die erste Beobachtung von Elektron-Neutrinos am LHC.

FASER-Detektor LHC CERN Genf
Der FASER-Detektor (Forward Search Experiment) im Tunnel des Large Hadron Collider des CERN in Genf. - © 2021-2023 CERN

«Dieses Forschungsresultat ist von grosser Bedeutung, weil die Untersuchung von Neutrinos bei so hohen Energien die Möglichkeit bietet, tiefere Einblicke in die fundamentalen Gesetze der Natur zu gewinnen, seltene Prozesse zu studieren und möglicherweise neue physikalische Phänomene zu entdecken», sagt Akitaka Ariga, Teilchenphysiker und Leiter der FASER-Gruppe am Laboratorium für Hochenergiephysik der Universität Bern.

Die Studie wurde in der Fachzeitschrift Physical Review Letters veröffentlicht.

Was sind Neutrinos?

Neutrinos sind Elementarteilchen, die in der Frühphase des Universums eine wichtige Rolle gespielt haben. Sie sind der Schlüssel, um mehr über grundlegende Naturgesetze zu erfahren, wie zum Beispiel die Frage, wie Teilchen ihre Masse erhalten und warum es im Universum mehr Materie als Antimaterie gibt.

Obwohl Neutrinos zu den häufigsten Teilchen im Universum gehören, sind sie sehr schwer zu untersuchen, da sie nur selten mit anderer Materie in Wechselwirkung treten. Sie werden daher oft als «Geisterteilchen» bezeichnet.

FASER-Gruppe Hochenergiephysik Universität
FASER-Gruppe am Laboratorium für Hochenergiephysik der Universität Bern, Jeremy Atkinson (PhD student), Prof. Paola Scampoli, Prof. Akitaka Ariga, Dr. Ken Ohashi (Post-doc). (von links nach rechts) - zvg

Ihre Existenz ist seit einigen Jahrzehnten bekannt, und Neutrinos spielten eine wichtige Rolle beim Aufbau des sogenannten Standardmodells der Teilchenphysik – der «Weltformel» für die kleinsten Bausteine der Materie. Bisher wurden jedoch vor allem Neutrinos im niedrigen Energiebereich untersucht, die in eigens dafür konstruierten Anlagen erzeugt wurden.

Modernste Nachweistechnik

Der Neutrinodetektor FASERnu beobachtet hochenergetische Neutrinos, die bei Proton-Proton-Kollisionen im LHC erzeugt werden. Er befindet sich unter der Erde 480 Meter vom eigentlichen Kollisionspunkt und besteht aus abwechselnden Schichten von Wolframplatten und Emulsionsfilmen, die Partikelspuren mit nanometergenauer Präzision erfassen können.

Dieser 1,1 Tonnen schwere Detektor mit modernster Technologie ist seit 2022 in Betrieb. «In der aktuellen Studie wurde ein Teil der 2022 mit dem FASERv-Detektor gesammelten Daten analysiert. Das sind nur zwei Prozent der bisher gesammelten Daten, wir haben also noch viel vor», erklärt Ariga, der das Projekt FASERnu leitet.

FASERnu Neutrino-Detektor
Der FASERnu Neutrino-Detektor. - © Akitaka Ariga

Hochenergetische Neutrinos als Schlüssel zu neuer Physik?

Im FASER-Experiment soll in den nächsten Jahren die Zahl der nachgewiesenen Neutrinos verhundertfacht werden, um Fragen nach den Unterschieden zwischen den insgesamt drei Neutrino-Unterarten und möglichen unbekannten Kräften zu klären. Das Tau-Neutrino, die dritte Unterart, ist bei niedrigen Energien schwer zu erzeugen und nachzuweisen.

«Die hohe Energie des FASER-Experiments ermöglicht es, Tau-Neutrinos effizienter zu erzeugen und zu untersuchen. Über diese Neutrinos ist bisher wenig bekannt und sie könnten neue physikalische Erkenntnisse liefern», merkt Ariga an. Das FASER-Experiment wird noch bis Ende 2025 Daten sammeln.

Akitaka Ariga FASER-Gruppe Universität
Prof. Dr. Akitaka Ariga, Leiter der FASER-Gruppe am Laboratorium für Hochenergiephysik der Universität Bern. - zvg

Zukünftige Experimente, wie das Folgeexperiment FASERv2, sollen mehr als 10’000 Mal grössere Datenmengen sammeln, um diese Untersuchungen wesentlich zu erweitern.

Um Fragen wie «Warum besteht das Universum hauptsächlich aus Materie und nur sehr wenig Antimaterie?» oder «Was ist dunkle Materie?» eines Tages beantworten zu können, ist die Entdeckung bisher unbekannter Kräfte oder neuer Teilchen unabdingbar. «Vielleicht finden wir mit den hochenergetischen Neutrinos bisher ‹unentdeckte Physik›», so Ariga.

Knowhow der Universität Bern am CERN und am Fermilab

Das CERN gilt als eines der renommiertesten Zentren für Teilchenphysik und betreibt mit dem LHC den leistungsstärksten Teilchenbeschleuniger der Welt. Die Universität Bern ist in der internationalen Grosseinrichtung nicht nur mit FASER aktiv.

Sie war auch Gründungsmitglied von ATLAS, dem grössten Teilchendetektor am LHC, und ist nach wie vor massgeblich an dessen Betrieb und Weiterentwicklung beteiligt. Bei FASER ist die Forschungsgruppe von Akitaka Ariga ebenfalls bereits seit der Konzeption involviert.

In der Neutrinoforschung ist die Universität Bern darüber hinaus am Deep Underground Neutrino Experiment beteiligt. Dabei handelt es sich um ein internationales Flaggschiff-Experiment am Teilchenphysik-Forschungszentrum Fermilab nahe Chicago, in dem bereits mehr als 1000 Forschende aus über 30 Ländern aktiv sind und das den intensivsten Neutrinostrahl der Welt erzeugen wird.

Dieses Projekt wurde vom Europäischen Forschungsrat im Rahmen des Forschungs- und Innovationsprogramms Horizon 2020 der Europäischen Union gefördert, und durch die Heising-Simons Foundation sowie durch die Simons Foundation unterstützt

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