Dietiker Raffaele Giovane im Corona-Domino-Interview

Céline  Meier
Céline Meier

Dietikon,

Raffaele Giovane wurde von Gemeinderat Peter Metzinger für das Corona-Domino-Interview nominiert.

Architekt Raffaele Giovane Dietikon
Raffaele Giovane lebt seit seiner Geburt in Dietikon. - Fotografiert von Monica Giovane

Raffaele Giovane lebt seit seiner Geburt in Dietikon. Seine Eltern sind aus Italien in die Schweiz eingewandert. Dem gelernten Architekten (ETH) ist die Gesellschaft wichtig, sei es im Beruf oder im Privaten.

Raffaele Giovane engagiert sich ehrenamtlich im Quartierverein Limmatfeld, betreibt einen Blog für Architekturstudenten oder greift Jugendlichen beim Übergang von der Schule zur Ausbildung unter die Arme. Zu seinen Hobbies zählen Zeichnen, Kochen, Yoga, Crossfit, Bloggen, Lesen.

Raffaele Giovane lebt mit seinen zwei Katzen und seiner Frau im Limmatfeld in Dietikon.

Nau.ch: Wie hast du die Ausnahmesituation bisher erlebt?

Raffaele Giovane: Es war eine Achterbahn der gemischten Gefühlen. Wobei bei mir schon alles viel früher anfing. Ich fasse kurz zusammen: Meiner Frau wurde im November 2019 ein Lymphom diagnostiziert. Im Dezember hat sie die Chemotherapie gestartet und Anfang April 2020 beendet. Die definitiven Resultate und das weitere Vorgehen stehen noch aus.

Die physische und mentale Belastung hat daher schon vor dem Lockdown gestartet, mit all dem Stress, dass so eine Therapie mit sich bringt. Vor allem die ersten Wochen waren geprägt von Arztterminen, Spitalaufenthalten, Zwischenfällen, Terminverschiebungen, Notfallbesuchen mitten in der Nacht.

Diese Momente rauben Zeit und Energie, privat wie beruflich. Im Architekturbüro musste ich mehrere Projekte delegieren oder abgegeben. Übrig blieb ein Hauptprojekt mit einem aufwändigen Bewilligungsverfahren.

Zusätzlich zu dieser Situation kam nun das Coronavirus und brachte Angst, weil meine Frau zur Risikogruppe gehört. Die Quarantäne war schon vor dem Lockdown zwingend. Die letzten zwei Chemozyklen à 5 Tagen waren wir sogar getrennt, sie alleine im Spital und ich alleine zu Hause, weil Spitalbesuche verboten sind.

Zwei Katzen
Die beiden Katzen Oscar und Luca gehören sicherlich zu den Gewinnern der Corona-Krise. - Monica Giovane

Andererseits hat mir das Homeoffice zwei Stunden mehr Zeit am Tag geschenkt, die sonst mit Pendeln verschwinden. Dadurch hatte ich mehr gemeinsame Zeit mit meiner Frau und unseren Katzen. Vor allem das gemeinsame Mittagessen schätze ich.

Natürlich geht ein grosser Dank an meinem Arbeitgeber, BKG Architekten AG, der volles Verständnis für meine Situation zeigt und in kurzer Zeit für alle Mitarbeiter das Homeoffice ermöglichte.

Nau.ch: Welche Auswirkungen spürst du in deiner Region besonders?

Raffaele Giovane: Wie bereits Peter Metzinger erläutert hat, mussten wir unsere Projekte als Vorstand des Quartiervereins Limmatfeld grösstenteils einstellen. Dabei haben wir so viele Ideen und auch die Motivation das Quartier zu beleben und die Bewohner näherzubringen. Zudem wollten wir das erfolgreiche Quartierfest dieses Jahr nochmals toppen.

Eine positive Auswirkung ist sicher, dass Nachbarn, mit denen man bisher wenig zu tun hatte, für uns bedingungslos einkaufen, als wären wir seit Kindheit miteinander befreundet.

Quartier Limmatfeld Dietikon
Die Nachbarn des Quartier Limmatfeld unterstützen sich gegenseitig. - limmatfeld.com

Eine negative Auswirkung ist, dass gewisse Personen es für lebensnotwendig halten, von den leeren Strassen zu profitieren, um stolz die lauten Geräusche ihrer Motoren vorzuführen. Kurios empfand ich, das Toilettenpapier und Mehl in den Läden ausverkauft waren. Sind wir jetzt plötzlich alle Bäcker, die an Durchfall leiden?

Nau.ch: Was vermisst du am meisten?

Raffaele Giovane: Am meisten vermisse ich Familienmitglieder und Freunde persönlich zu treffen und zu umarmen. Weiter fehlen mir die gemeinsamen Kaffepausen und Mittagessen mit den Mitarbeitern und das monatliche Grillieren mit dem Quartierverein auf dem Rapidplatz.

Sport hat einen wichtigen Stellenwert in meinem Leben, darum vermisse ich beispielsweise die Trainings beim Crossfitstudio von b-sport, die Yoga-Lektionen im Studio Sunneschii oder das Essen bei Nama, die jetzt zum Glück aber wieder offen hat.

Nau.ch: Dein Tipp für einen guten Alltag im Lockdown?

Raffaele Giovane: Zwei Zitate fallen mir an dieser Stelle ein, die mir selbst helfen trotz der belastenden Situation nicht durchzudrehen. «The secret to living is giving» – sich für andere und die Gesellschaft zu engagieren gibt Kraft und Inspiration.

Schon die Tatsache, für meine Frau in dieser schwierigen Situation da zu sein, umschreibt dieses Zitat bestens. Daneben setzte ich mich Vorstand des Quartierverein Limmatfelds für meine Mitmenschen ein.

Als Mentor beim Projekt ROCK YOUR LIFE! helfe ich Oberstufenschüler beim Übergang von der Schule in die Ausbildung. Als Mitautor beim Bigi.Blog gebe ich mit einem Kollegen Tipps für ArchitekturstudentInnen.

Zwei Männer trinken Espresso
Tobias Biegger (links) und Raffaele Giovane schreiben auf ihrem Blog nützliche Tipps für ArchitekturstudentInnen. - bigi.blog/wir-bigis

Zusammen mit anderen Planern aus der Baubranche haben wir im Oktober 2019 den Standort Zürich der Architects 4 Future lanciert. Wir arbeiten ehrenamtlich und gemeinnützig und setzen uns für einen nachhaltigen Wandel der Baubranche ein.

«Create before you consume» ist das zweite Zitat: Bevor wir unsere Bildschirme einschalten und deren Inhalt konsumieren, schauen was andere machen, kritisieren und darüber jammern, wie schlecht es uns geht, sollten wir selbst etwas Kreatives produzieren.

Hauptsächlich für uns selbst. Man kann das Resultat auch posten und Feedback einholen. Nicht um sich darzustellen und mit Filtern schöner erscheinen zu lassen. Sondern um in Kontakt mit anderen kreativen Personen zu kommen und zu realisieren, dass die Kreativität weder Grenzen hat, noch muss man ein Profi sein, um die eigenen Kreationen zeigen zu können.

selbst gemalte Bilder
Auf seinem Instagram-Profil möchte Raffaele Giovane andere dazu inspirieren, selbst kreativ zu sein. - zvg

Es muss nicht ausschliesslich Zeichnen oder Kochen sein. Man kann sich folgende Frage stellen: Welche Leidenschaft oder Hobbies habe ich schon lange aufgeschoben oder verdrängt? Wie kann ich durch meine Tätigkeiten Mitmenschen im Haushalt inspirieren, denen es schlechter geht als mir?

Was hilft, ist, die Situation so zu nehmen, wie sie ist, und diese nicht zu bekämpfen, sondern dankbar sein für die kleinsten schönen Dinge im Leben, sei es nur die frische Luft am frühen Morgen bei einem Spaziergang.

Irgendwann lösen sich die Anspannung und negativen Gedanken auf, weil es immer etwas Gutes für jemand anderen zu tun gibt. Für andere Gutes zu tun, tut Gut. Kurz gefasst: Kreativ sein und sich ehrenamtlich engagieren, dann gestaltet sich der Alltag von sich aus eher positiv.

Nau.ch: Wird sich die Gesellschaft jetzt verändern?

Raffaele Giovane: Die Gesellschaft wird sich verändern aber das Coronavirus ist nicht der Hauptgrund. Wenn wir den Klimawandel nicht stoppen, unserer Umwelt und uns selbst weiterhin in diesem Ausmass Schaden anrichten, werden die Folgen verheerender und die Gegenmassnahmen strenger sein als bei einer Corona-Epidemie.

Da die Arbeitswelt diesen aufgezwungenen Stresstest mit der Einrichtung der Homeoffice Infrastrukturen und der ortsunabhängigen Zusammenarbeit bestehen wird, werden diese Arbeitsweisen zu einem grossen Teil in der Berufswelt bleiben und immer mehr von Arbeitnehmern und Arbeitgebern angeboten oder verlangt werden. Womöglich könnte damit auch weltweit der Alltagsverkehr entlastet und weniger CO2 ausgestossen werden.

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