Uni Freiburg: Fossil einer Saug-Schnapp-Schildkröte gefunden
Forschende haben auf Madagaskar ein aussergewöhnlich gut erhaltenes Schildkrötenfossil gefunden.
Es handelt sich um eine einzigartige Saug-Schnapp-Schildkröte, die fortan den klingenden Namen Sahonachelys mailakavava trägt.
Sahonachelys mailakavava ist madagassisch und bedeutet «schnellköpfige Frosch-Schildkröte». Das jüngst auf Madagaskar gefundene Fossil einer solchen Schildkröte gehört zur Gruppe der Pelomedusidae (Pelomedusenschildkröten) und wurde in einer geologischen Formation entdeckt, die für ihre wunderbar erhaltenen Fossilien von Vögeln, Dinosauriern und Krokodilen bekannt ist. Die schnellköpfige Frosch-Schildkröte hat einen ungewöhnlich flachen Schädel sowie einen grazilen Unterkiefer und vergrösserte Zungenbeine.
Diese gaben dem Tier nicht nur ein froschartiges Aussehen, sondern lassen zudem vermuten, dass die Schildkröte an eine sogenannte Saug-Schnapp-Jagdweise angepasst war. Saugschnapper öffnen ihre Mäuler sehr schnell, um durch den entstehenden Unterdruck Beutetiere unter Wasser förmlich einzusaugen. Dies steht im Gegensatz zu Jägern, die ihren Kopf schnell vorschiessen, um aktiv nach Beutetieren zu schnappen. Die Sahonachelys mailakavava weist mehrere abgewandelte Merkmale des Kopfskelets auf, die eine hohe Anpassung an das Saugschnappen anzeigen:
Der Schädel ist flach aber verbreitert und die Unterkiefer sind stark gebogen und nach vorne versetzt, was eine deutlich gerundete Mundöffnung nach sich zieht, welche wiederum physikalisch erhöhte Saugkräfte beim Öffnen des Mundes erzeugt. Die stark entwickelten Zungenbeine deuten auf eine gut ausgebildete Muskulatur hin, welche die Zungenbeinregion beim Öffnen des Mauls zurückzieht und so abermals die Saugwirkung verstärkt. Wie alle heute lebenden Schildkröten hat das Tier keine Zähne, allerdings sind zudem die sich gegenüberliegenden Flächen des Ober- und Unterkiefers reduziert ausgebildet.
Davon kann man ableiten, dass die Schildkröte ihre Kiefer nicht zur Nahrungsverarbeitung benutzt hat, sondern Beute ganz verschlang – wie es bei Saugschnappern typisch ist. Die Forschenden vermuten, dass die Schildkröte sich von kleinen Beutetieren ernährte, etwa von Insektenlarven, Jungfischen, oder Kaulquappen.
Wissenschaftlich wertvoller Fund
Besonders an der Schildkröte ist auch ihre Erhaltung: Ein nahezu komplettes Skelett – trotz der kleinen Körpergrösse des Tieres von nur ungefähr 30 cm. «Dies ist die besterhaltene Schildkröte der gesamten Spätkreide der südlichen Kontinente und daher besonders aussagekräftig in Bezug auf Lebensweise und Verwandtschaftsverhältnisse», erklärt Prof. Walter Joyce der Universität Freiburg und Erstautor der Studie. Die Vollständigkeit des Skeletts erlaubt es den Forschenden, das ganze Tier zu verstehen und auch bessere Vergleiche mit anderen Fossilien anzustellen.
Mit Hilfe solcher Vergleiche erstellten die Wissenschaftler einen Lebensbaum der Schildkröten, der aufzeigt, dass Sahonachelys mailakavava ein früher Verwandter der Schienenschildkröten (Podocnemididae) war, welche heute in Madagaskar und Südamerika beheimatet sind, in der Vergangenheit aber eine deutlich weitere Verbreitung hatten. Für die Forschenden ein Highlight, wie Ko-Autor Serjoscha Evers erklärt: «Als Paläontologen versuchen wir, die Biologie und Evolution vergangenen Lebens zu verstehen. Unsere Erkenntnis, dass sich das Saugschnappen in einer weiteren Gruppe von Schildkröten entwickelt hat, ist aufregend und war nicht erwartet. Dieses Beispiel zeigt, wie die Evolution ähnliche Merkmale in Tieren mit ähnlicher Funktionsweise hervorbringen kann, selbst wenn sie nur entfernt miteinander verwandt sind».
Einziger Saugschnapper seiner Zeit
Die paläontologische Fauna von Madagaskar ist wohlbekannt für ihre aussergewöhnlichen und spezialisierten Arten, was unter anderem an der langen geographischen Isolation Madagaskars vom umliegenden Festland liegt.
Die schnellköpfige Frosch-Schildkröte zeigt, dass die madagassische Fauna bereits in der Kreide besonders war: Sahonachelys mailakavava ist die einzig bekannte Schildkröte ihrer Gruppe, die das Saugschnappen entwickelt hat. Andernfalls tritt dieses Verhalten nämlich nur bei ihren entfernten Verwandten der Schlangenhalsschildkröten auf, denen sie aufgrund dieser ähnlichen Lebensweise äusserlich auf den ersten Blick stark ähnelt.