Das Schweizer Geschwistertrio, das in Hollywood den Ton angibt
Diego, Lionel und Nora Baldenweg sind weltbekannt für ihre Musik für Filme, Serien und Werbung. Das Zürcher Trio kennt in der Öffentlichkeit aber kaum jemand.
Es klingt wie ein Paradox: Der Druck ist hoch in der Film- und Werbemusikbranche. Punktgenaue Arbeit ist gefragt, oft verbunden mit knappen Abgabefristen. «Gleichzeitig», sagen Diego, Lionel und Nora Baldenweg, die seit über 20 Jahren in diesem Geschäft sind, «ist Geduld in unserem Beruf etwas vom Wichtigsten.» Es könne Jahre dauern, bis aus losen Kontakten ein konkreter Auftrag werde.
So war es auch mit «In the Land of Saints and Sinners», einem irischen Spätwestern, realisiert von Robert Lorenz, dem langjährigen Produzenten von Clint Eastwood. Mehrere Jahre vergingen von den ersten Gesprächen bis zum Zuschlag. Dass der neue Film mit Liam Neeson, der bald in den Kinos zu sehen ist, klingt, wie er klingt, dafür haben die Baldenwegs gesorgt.
Grosses Budget, grosse Stars, grosse Aufmerksamkeit. Die Geschwister waren vor Kurzem sogar bei den renommierten Movie Music UK Awards in der Königsklasse «Score of the Year» nominiert – neben Grössen wie John Willams oder Alexandre Desplat.
Bei internationalen Produktionen würden andere Massstäbe gelten als in der Schweiz, sagt Nora Baldenweg. So hätten sich viele Komponisten-Agenten um diesen Job bemüht. Mehr Konkurrenz, rauere Sitten. Baldenwegs sind überraschend gelassen: Am Ende sei es immer eine Frage der Passung. Erzwingen lasse sich nichts.
Jedes Projekt starte wieder bei null
Doch trotz Unterschieden bleibt die Arbeit im Kern die gleiche: «Wir kreieren Welten und Stimmungen, wir erarbeiten eine Vision, erzählen eine Geschichte», sagt Lionel Baldenweg. Im Austausch mit dem Gegenüber – zum Beispiel einer Regisseurin oder einem Regisseur – entstünde das bestmögliche Ergebnis. Sie würden teilweise mehr Zeit in Veränderungen und Anpassungen investieren als in die Urkomposition, so Diego Baldenweg.
Ihre Arbeit kommt an. In zwei Jahrzehnten haben sich die drei einen Namen gemacht. Beständig und beharrlich gehen sie ihren Weg, sie bleiben dabei zugänglich und sympathisch. Keine Selbstverständlichkeit in dieser Branche, die enorm kompetitiv ist. Baldenwegs sehen das nüchtern: Jedes Projekt starte wieder bei null.
Dass sie als Geschwister zusammen arbeiten, werde immer wieder zum Thema gemacht. Natürlich seien sie froh um die gegenseitige Offenheit und das Vertrauen, dankbar, aber auch um die verschieden gelagerten Fähigkeiten.
Diego ist der kreative und technische Hauptkomponist, während Lionel und Nora sich um die kommunikativen und geschäftlichen Belange kümmern und die gemeinsamen kreativen Visionen als Co-Komponisten ergänzen. «Unsere Andersartigkeit macht unsere Arbeit besser», ist Lionel Baldenweg überzeugt. Doch am Verwandtschaftsgrad sind sie weniger interessiert als die Medien. «Entscheidend ist, was wir abliefern», sagt Nora Baldenweg.
Aufrichtigkeit und Authentizität
Baldenwegs haben nicht den klassischen Weg gewählt mit einer Filmmusik-Ausbildung. Am Anfang stand ihre gemeinsame Band. Eines Tages wurde ihnen gesagt: «Mit dieser Musik könnt ihr auch in der Werbung oder im Film Geld machen.» Das eine ergab das andere.
Schliesslich seien sie von Regisseur Michael Steiner und Komponist Adrian Frutiger angefragt worden, für die orchestrale Musik zu «Mein Name ist Eugen» mit einzuspringen. «Damals wussten wir zwar, wie Songs und orchestrale Musik komponiert wird, aber nicht, was Filmmusik ist», sagt Diego Baldenweg und lacht. Trotz aller Disziplin und Ernsthaftigkeit haben sich Baldenwegs eine spielerische Seite erhalten.
Heute macht die Filmmusik inklusive TV-Serien 80 Prozent ihrer Arbeit aus, 20 Prozent ist Werbung. Früher war es umgekehrt. Trotz internationaler Aufträge arbeiten sie gerne in der Schweiz. So haben sie vor vier Jahren die Erkennungsmelodie des Schweizer Filmpreises komponiert. Kurz darauf diejenige des Zurich Film Festivals. 2009 waren sie zudem die Ersten, die mit dem Tonhalle-Orchester Zürich und Dirigent David Zinman eine Filmmusik (für «180°») eingespielt haben.
Wie ist es mit der Angst vor dem weissen Blatt? Baldenwegs haben ein gutes Mittel dagegen: Zeit für Nahrung. Heisst: Sie erlauben es sich, mehr als einen Monat pro Jahr an Festivals zu sein, Filme zu schauen, Menschen zu treffen und «dabei nicht über Musik zu sprechen, sondern über spannende Geschichten, Gott und die Welt», wie Lionel Baldenweg sagt. «Hier bekommen wir Inspiration», sagt Diego Baldenweg. Der Austausch ist den drei wichtig. Immer wieder fallen die Begriffe Aufrichtigkeit und Authentizität. Zusammenarbeiten mit Dirigenten, Orchestern und anderen Fachbereichen sind ein zentrales Kennzeichen ihres Schaffens.
Es klingt wie ein Paradox: Kommerzieller Erfolg und Lob und Wertschätzung von der Fachwelt. Baldenwegs schaffen es immer wieder aufs Neue.
*Dieser Text von Raphael Amstutz, Keystone-SDA, wurde mithilfe der Gottlieb und Hans Vogt-Stiftung realisiert.