Alexander Osangs Roman über Wahrheit und Erinnerung
Alexander Osang mag es komplex: In seinem neuen Roman erzählt er eine Geschichte über eine Geschichte, die ein Journalist geschrieben hat, die dann aber nicht erschienen ist. Und aus der ein Roman wird.
Das Wichtigste in Kürze
- Der eine ist Journalist und soll für den «Spiegel» eine Geschichte über die Ostdeutschen schreiben.
Der andere scheint sich mit seinem ungewöhnlichen Lebenslauf geradezu dafür aufzudrängen.
Beide verbindet, in der DDR geboren und in Ost-Berlin aufgewachsen zu sein. Am Schluss erscheint der Magazintext dann doch nicht - was Teil der Geschichte ist, die der Berliner Journalist und Schriftsteller Alexander Osang (58) über seine beiden Figuren in seinem lesenswerten Roman «Fast hell» erzählt. Der ist, drei Jahrzehnte nach der Deutschen Einheit, gerade im Aufbau Verlag erschienen.
Der Ich-Erzähler hat viel mit Osang gemeinsam. Er ist Reporter, war Auslandskorrespondent in New York und Tel Aviv und lebt inzwischen wieder in Berlin. Uwe, den er aus seiner Zeit in den USA kennt, scheint am Anfang ein idealer Gesprächspartner zu sein, belesen und eloquent, auskunftswillig und redefreudig.
«Der Osten war unberechenbar und farbenfroh», schreibt Osang. «In den historischen Fernsehdokumentationen sehen die Leute alle gleich aus.» Uwe ist anders, er würde den Rahmen solcher Dokus sprengen. Er ist schwul, vielsprachig, glatzköpfig, Enkel eines Schauspielers und Neffe einer Republikflüchtigen, die im Kofferraum eines argentinischen Diplomaten von Ost- nach Westberlin geflohen war. Er besitzt ein Haus in New York, er kennt sich nicht nur in Moskau aus, sondern auch in Peking, Hongkong, Buenos Aires und Tel Aviv.
Es klingt nach einer vielversprechenden Geschichte. Und so verabreden sich die beiden Männer zu einer viertägigen Schiffsreise von Helsinki nach St. Petersburg. Dabei soll der eine dem anderen sein Leben erzählen, der dann allerdings beginnt, über sich selbst nachzudenken und dem Leser immer mehr über die eigenen Erfahrungen und Erinnerungen berichtet.
Der Titel «Fast hell» ist auf interessante Art mehrdeutig: Fast hell ist es im Sommer während der weissen Nächte wie in St. Petersburg, wenn die Sonne nie ganz untergeht. Fast hell heisst aber auch: nicht ganz hell. Manches bleibt im Dunkeln - das gilt gerade für Uwes Lebensgeschichte.
Stimmt es wirklich, dass er nicht auf die erweiterte Oberschule gehen darf, weil der Vater einer Mitschülerin bei der Stasi ist, es auf ihn abgesehen hat und das verhindert? Kann es sein, dass er von der Mafia in Moskau erpresst wird, als er neben dem Dolmetscherstudium eine Filiale einer deutschen Teehandelskette eröffnen will?
Stimmt es, dass Uwes guter Freund Chris noch am Tag zuvor die Maschine geflogen hat, die bei den Anschlägen am 11. September 2001 über Pennsylvania abstürzt? Uwes Erzählungen erscheinen wie der Plot aus einem Abenteuerfilm. Auch wie weit er sich als junger Erwachsener mit der Stasi eingelassen hat, ist nicht ganz klar, seine Akte ist nicht auffindbar.
Osang hat aus all dem einen vielschichtigen Roman gemacht, bei dem es um grosse Fragen geht: um die, wie sehr man Erinnerungen trauen kann zum Beispiel - und um die Suche nach Wahrheit in der Vergangenheit.
Um Osangs eigene Geschichte geht es auch - und um die deutsche nach dem Mauerfall. «Ich hatte immer gehofft, dass der Westen neugierig auf uns ist», sagt Uwe einmal. «Aber das war nicht der Fall. Das war vielleicht meine grösste Enttäuschung.»
Am Schluss steht fest: Uwes anfangs so vielversprechend erscheinende Geschichte lässt sich nicht auf wenigen Seiten erzählen. Das journalistische Projekt endet in einer Sackgasse. Und das ist auch gut so - sonst gäbe es den Roman nicht.
Alexander Osang: Fast hell. Aufbau Verlag, Berlin, 237 Seiten, 22,00 Euro, ISBN 978-3-351-03858-8