Jahrelang waren AnnenMayKantereit die Überflieger im deutschen Pop - dann warf Corona viele Pläne über den Haufen. Aus dem Lockdown meldet sich das Trio nun sehr nachdenklich zurück. Der Albumtitel «12»: eine politische Anspielung.
Es ist eine nebulöse Zeit der Verunsicherung: AnnenMayKantereit. Foto: Martin Lamberty/dpa
Es ist eine nebulöse Zeit der Verunsicherung: AnnenMayKantereit. Foto: Martin Lamberty/dpa - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Vier Jahre auf der Überholspur - und dann die Vollbremsung durch ein Virus: Die Kölner Band AnnenMayKantereit hat eine Zeit der Extreme hinter sich und verarbeitet ihre Eindrücke auf dem neuen Album «12», das Mitte November zunächst nur digital erschien und jetzt auch «physisch» in den Handel kommt.
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Die dritte Studioplatte des Deutschpop-Trios nach dem Durchbruch mit «Alles nix Konkretes» (2016) und dem ähnlich erfolgreichen «Schlagschatten» (2018) enthält 16 Lieder und Sprechgesang-Skizzen voller Gefühl - und auch Frust. «So wie es war, so wird es nie wieder sein», singt Henning May, dessen tiefe, raue Stimme einen besonderen Reiz des AMK-Sounds ausmacht, im zweiten Stück. Später, im Lied «Gegenwartsbewältigung», behauptet der 28-Jährige: «Ich glaub', Corona ist berühmter als der Mauerfall und Jesus zusammen.»

Besonders das erste Drittel von «12» ist sehr melancholisch und düster ausgefallen, später hellt sich die Stimmung zumindest zeitweise auf. Das politischste Lied jenseits der Corona-Thematik heisst «Die letzte Ballade», mit Bezügen zu den rassistischen Morden von Hanau und dem neuen Rechtsextremismus.

Schon im Albumtitel steckt eine politische Botschaft, wie May dem «Mannheimer Morgen» sagte - eine Anspielung auf die Redewendung «fünf vor zwölf». Der Sänger weiter: «Es ist nicht mehr fünf vor, sondern wirklich zwölf. In allen Bereichen.» Etwa wenn es um den Klimawandel gehe oder um die Privilegien weisser Männer.

«Es ist ein Album aus dem Lockdown. Ein Album, das unter Schock entstanden ist», schrieben May, Gitarrist Christopher Annen und Schlagzeuger Severin Kantereit in einem sehr persönlichen Begleittext. «Für uns hat es immer drei Teile gehabt - den düsteren Beginn, das Aufatmen danach und die süss-bittere Wahrheit zum Schluss.»

Deswegen gibt das Trio seinen Hörern eine Art Betriebsanleitung mit: «Wir wünschen uns, dass dieses Album am Stück gehört wird. Die Reihenfolge der Lieder hat für uns Bedeutung, und wer so grosszügig ist, sich das Album auch in dieser Reihenfolge anzuhören, hat einen gepolsterten Sitzplatz in der Mehrzweckhalle unserer Herzen.»

Insgesamt sei das Album «sehr von den Wochen geprägt, in denen es entstanden ist. Per Video-Call. Per Telefon. Per Mail und in Chatverläufen», erzählte Henning May. «Christopher war im Proberaum, Severin im spontan aufgebauten Homestudio, und ich hatte die Gelegenheit, an einem desinfizierten Klavier zu arbeiten.» Die Band habe sich «oft für die Momente entschieden. Für die spontanen Handy-Aufnahmen, für die Versprecher, das Räuspern, das Vogelzwitschern oder knarzende Klavierstühle.»

Man merkt manchen der von Piano und Gitarre dominierten Lieder die Verunsicherung an, mit der die 2011 als Strassenmusiker gestartete Songwriter-Pop-Band auf den Corona-Schock reagierte: «Wir hatten die Hamburger Trabrennbahn ausverkauft, waren für Festivals gebucht, wir wollten nach St. Petersburg und Istanbul... Und dann - Zack.»

Nun kam «12» - nach zwei Top-drei-Alben in Deutschland und Österreich sowie vielen Kritiker-Auszeichnungen seit 2016 - ausgerechnet in einer zweiten Lockdown-Phase heraus. Immerhin: Man hat jetzt viel Zeit zum genauen Zuhören. Und das lohnt sich auch bei dieser AMK-Platte wieder.

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