Astronom Simon Marius: ewiger Zweiter und Mobbingopfer?
Der am 26. Dezember vor 400 Jahren verstorbene Astronom Simon Marius ist kaum bekannt – auch weil seine namhaften Zeitgenossen ihn angeblich mobbten.
Simon Marius entdeckte fast zeitgleich mit Galileo Galilei die Jupitermonde, beobachtete die Venusphasen und sah laut Fachleuten als erster Europäer den Andromedanebel. Doch im Gegensatz zu seinem berühmten italienischen Zeitgenossen ist der deutsche Mathematiker und Astronom (1573–1624) heute nur wenigen Menschen bekannt. Als er am 26. Dezember vor 400 Jahren starb, war sein Ruf beschädigt. Aber auch die Art, wie Wissenschaftsgeschichte erzählt wurde, trug dazu bei, dass er fast in Vergessenheit geriet.
Das will die Simon Marius Gesellschaft in Nürnberg ändern, die sich 2014 gegründet hatte – zum Jubiläum von Marius' Schrift «Mundus Iovialis» über die vier Jupitermonde, die er Io, Europa, Ganymede, und Kallisto nannte, wie sie übrigens laut der Internationalen Astronomischen Union seit dem 20. Jahrhundert offiziell heissen. Doch das Werk von 1614 brachte dem markgräflichen Hofmathematiker in Ansbach viel Ärger ein. Darin berichtete er, wie er 1610 einen Tag nach Galilei mit einem Fernrohr die Jupitermonde beobachtet habe – weshalb ihn der Italiener später des Plagiats bezichtigte. Dieser hatte seine Entdeckung schon Jahre vor Marius veröffentlicht.
«Das hat natürlich den Ruf von Marius erst einmal für 280 Jahre ruiniert, bis dann Anfang des 20. Jahrhunderts die Rehabilitation erfolgt ist», sagt Pierre Leich, Präsident der Simon Marius Gesellschaft. Auch Johannes Kepler habe später in einem Buch den Franken schlecht aussehen lassen, weil Galilei diesem bei der Entdeckung der Venusphasen wieder voraus gewesen sei. «Da ist mit harten Bandagen gekämpft worden.» Heute würde man wahrscheinlich von Mobbing sprechen, sagt Leich. Dabei sei später nachgewiesen worden, dass Simon Marius selbstständig geforscht habe.
Simon Marius als Opfer? Ein ewiger Zweiter, der bis heute im Schatten von Galileo Galilei steht? Das sei eine Erzählung, die zum heutigen Blick auf die Wissenschaftsgeschichte nicht mehr passe, sagt Matteo Valleriani vom Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin. Diese habe lange dazu tendiert, sich auf einzelne Akteure zu konzentrieren und diese als Genies zu überhöhen. Ein Plagiat einer Arbeit von Galileo sei da sehr dramatisch gewesen. «Deshalb musste Marius so gut es geht aus der Geschichte getilgt und als schlechte Figur dargestellt werden.»
Heute rücke die Wissenschaftsgeschichte dagegen den Fokus weniger auf grosse Namen. Wichtiger seien Erkenntnisse über das verbreitete Wissen zu der Zeit. Im frühen 17. Jahrhunderts haben die Menschen laut Valleriani das geozentrische Weltbild für richtig gehalten, bei dem die Erde im Mittelpunkt des Universums steht und alle Himmelskörper diese umkreisen. Das von Nikolaus Kopernikus 1543 beschriebene heliozentrische Weltbild, wonach die Erde und die anderen Planeten um die Sonne kreisen, sei damals nicht Konsens gewesen.
Mondkrater und Asteroid tragen den Namen Marius
Galileo Galilei sei einer der frühen Anhänger dieser Idee gewesen, sagt Matteo Valleriani. Und anders als Simon Marius habe er die Entdeckung der Jupitermonde gedeutet – als eine Beobachtung, die das geozentrische Weltbild ins Wanken brachte. «Die Interpretation war das, was wirklich zählte, nicht die Tatsache, dass er kleine Pünktchen am Himmel gesehen hat, die sich bewegten», sagt der Wissenschaftler. Simon Marius hingegen vertrat der Simon Marius Gesellschaft zufolge trotz seiner eigenen Beobachtungen weiterhin das geozentrische Weltbild.
«Simon Marius ist ein übersehener Astronom», sagt Pierre Leich und ergänzt: «Er ist aber auch nicht die Champions League der Astronomie.» Dennoch sei es wichtig und zum Teil spannender, sich mit einem Astronomen der zweiten Reihe zu beschäftigen, sagt er. Dadurch werde besser sichtbar, welche Prozesse damals zu welchen Erkenntnissen über das Universum geführt hätten und welche Argumente ausgetauscht worden seien.
Doch was bleibt heute von Simon Marius ausserhalb von Fachkreisen? Ein Gymnasium in seinem Geburtsort Gunzenhausen ist nach ihm benannt sowie Strassen dort und in Ansbach. Bald soll ein Platz in einem Neubaugebiet in Nürnberg folgen. Ein Mondkrater und ein Asteroid (7984 Marius) tragen ausserdem seinen Namen. Auch eine Simon-Marius-KI gibt es seit Kurzem, mit der man sich unterhalten kann.
Forschende der Hochschule Ansbach haben dazu einen Chatbot mit Künstlicher Intelligenz entwickelt, der das historische Wissen und den Sprachstil von Simon Marius nutzt – man kann mit ihm entweder über die Homepage der Simon-Marius-Gesellschaft chatten oder mit einem Roboterkopf, der bei Veranstaltungen auftritt.
Gerne würde man den künstlich-intelligenten Simon Marius fragen, wie er den Ärger mit Galileo Galilei und Johannes Kepler damals empfunden hat. Aber dazu kann die KI keine Antwort geben. «Er bleibt da sehr neutral und freundlich», sagt Sigurd Schacht, Professor für angewandte KI in Ansbach. Sein Wissen basiere auf historischen Dokumenten. Informationen zu Simon Marius' Gefühlslage, seinen Vorlieben oder seinem Charakter finde man darin nicht.