Benedict Wells über «Hard Land» und das «Glück zu schreiben»
Der fünfte Roman von Benedict Wells ist erschienen. «Hard Land» ist ein wunderbares Buch und voller «Euphancholie». Voller was?

Das Wichtigste in Kürze
- Benedict Wells, der 37-jährige Autor, veröffentlicht sein fünftes Buch «Hard Land».
- Die Inspiration zu diesem Buch fand er vor 13 Jahren auf einer Reise durch Amerika.
- Das Buch erzählt vom schicksalshaften Sommer von Teenager Sam und vom Erwachsen werden.
Zart, romantisch, einfühlsam, aufwühlend. In einem kleinen Kaff im US-Bundesstaat Missouri spielen sich alle grossen Themen des Lebens ab. «Hard Land» von Benedict Wells handelt von Freundschaft, Familie, Liebe, von Zweifeln, Ängsten, Tod, Verlust. Es geht ums Reifen, ums Erwachsenwerden mit allen seinen unbeschwerten wie auch schmerzhaften Facetten.
Mittendrin der verschlossene Aussenseiter Sam, kurz vor seinem 16. Geburtstag, der in einem Sommer 1985 im Ort Grady in nur sechs unglaublichen Wochen ein anderer wird. Ein wunderbarer Roman - unmöglich, sich von ihm nicht berühren zu lassen.

Benedict Wells hatte einmal gesagt, die Gefühle, die er in einem Buch beschreibe, seien echt. Er habe sie tatsächlich selbst gefühlt. Zwar galt das damals seinem schon vierten Roman «Vom Ende der Einsamkeit». Dieser wurde in 37 Sprachen übersetzt und mit dem Literaturpreis der Europäischen Union ausgezeichnet wurde.
Aber was er 2016 im ZDF äusserte, dürfte genauso für seinen nun fünften Roman «Hard Land» gelten. Wie sonst könnte er schreiben: «Da bekam ich so viel Sehnsucht danach, ein anderer zu sein, dass es mich fast zerriss.»
Der jugendliche Schmerz des Erwachsenwerdens
Schon der allererste Satz des Buches sitzt. «In diesem Sommer verliebte ich mich, und meine Mutter starb.» Sam ist einer, der in der Schulkantine allein am Tisch sitzt, schmächtig, verloren, einsam. Zugleich mit musikalischem Talent und scharfer Beobachtungsgabe ausgestattet.
Er lebt in ständiger Angst um seine krebskranke, innig geliebte Mutter. Die ältere Schwester Jean ist längst weggezogen, zum Vater mit seinem «brütenden Schweigen» kommt er nicht durch.

Ein antriebslos begonnener Ferienjob im Kino bringt eine Wende, führt ihn zu Kirstie, Cameron und Brand. Sie alle sind ein paar Jahre älter. Erst blitzt Sam bei ihnen ab, dann wächst Vertrauen. Und eine Verbundenheit, die oft ohne Worte auskommt.
Auch die drei haben ihr Päckchen zu tragen, ringen mit Geheimnissen, Verwundungen, Schwächen, sind auf der Suche. Das macht sie empathisch, lässt sie einander verstehen.
Zu viert erleben sie glückliche Wochen. Es kommt zu verrückten Mutproben, krassen Gesprächen auf dem Kinodach, relaxten Szenen am See, wilden Partys im Rausch. Und in Kirstie - frech, forsch, mit anziehender kleiner Lücke zwischen den Vorderzähnen - verliebt sich Sam. Hoffnungslos, chancenlos, wie es scheint.
Auch Benedict Wells hat eine schicksalshafte Vergangenheit
Schon mit 19 Jahren hatte Benedict Wells seinen ersten Roman («Spinner») geschrieben. Seine Schulzeit hatte er in Internaten und Heimen verbracht, ging danach nach Berlin, wollte sich unbedingt als Schriftsteller austesten. Es funktionierte. Der junge Autor machte international als Ausnahmetalent auf sich aufmerksam.
Und jetzt nimmt uns Wells auf eine Reise zurück in die Mitte der 1980er Jahre mit. Als es noch keine Handys gab. Als Songs wie «Take On Me» von a-ha oder «Dancing With Myself» von Billy Idol angesagt waren. Obwohl der Autor 1985 selbst noch ein Baby war, wirkt alles authentisch.
Man taucht tief ein in diesen heissen Sommer. In bittere wie heitere Momente, beschrieben in einer Sprache, die all die widersprüchlichen Emotionen perfekt spiegeln kann. Grandios eine Szene, in der Sam Abschied von seiner Mom nimmt und zugleich seinen Befreiungsschlag erkämpft.
«Euphancholie»
«Vor Aufregung habe ich letzte Nacht kaum geschlafen», verrät Benedict Wells auf seiner Homepage. Damit meint er den Tag Ende Februar, an dem sein Roman erschienen ist. Die Idee zum Buch sei ihm 13 Jahre zuvor auf seiner ersten Reise durch Amerika gekommen.
Zur zweiten Roman-Hälfte schreibt er, sie bedeute das «vielleicht grösste Glück, das ich bisher beim Schreiben hatte». Und: «Nie war ich näher an dem, was ich machen wollte. Nie hatte ich stärker das Gefühl, dass ich so sehr die für mich richtigen Worte fand wie hier.» Und er hat sogar ein zauberhaftes neu erfunden: «Euphancholie» - für eine Stimmungsmischung aus Euphorie und Melancholie.