Der Zirkus ist in der Stadt: Bonapartes «Was mir passiert»

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Kloten,

Mehrere Reisen in das pulsierende Abidjan - im Reisegepäck dann Klänge und Rhythmen aus dem Kongo, Kamerun und Äthiopien. Und als sei das nicht genug, tauchen auch noch zwei Drittel der Ärzte und Sophie Hunger auf: So klang Bonaparte noch nie.

Tobias Jundt liess sich in Abidjan inspirieren. Foto: Britta Pedersen
Tobias Jundt liess sich in Abidjan inspirieren. Foto: Britta Pedersen - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Man muss sich Bonaparte als eine Art Zirkus vorstellen, als fahrendes Kuriositätenkabinett.

Menschen in Tierkostümen, Feuerspucker, halb nackte Tänzerinnen, Chaos vor und auf der Bühne.

So lautete in der Vergangenheit die bei weitem nicht vollständige Zutatenliste für ein Bonaparte-Konzert. In einem Wechselspiel zwischen Publikum und Band entstand bei Auftritten eine raue, anarchische, hedonistische Energie.

Auf dem sechsten Album «Was mir passiert» begibt sich Tobias Jundt alias Bonaparte, der Zirkusdirektor solcher Auftritte, auf eine Suche, die genau dort anknüpft: «nach einer polyvalenten Energie, vergleichbar mit der, die ihn vor 12 Jahren in Berlin fesselte und den Motor der wahnwitzigen Anarcho-Anfangstage von Bonaparte befeuerte», heisst es in einer Mitteilung.

Seine Suche führte den 41-Jährigen an die Elfenbeinküste. In der pulsierenden Millionenmetropole Abidjan traf der gebürtige Schweizer und Wahl-Berliner Musiker, Tänzer, Produzenten. Sie wurden das Netzwerk, in dem im Zuge weiterer Reisen «Was mir passiert» entstand - eine Melange aus der Musikszene Abidjans, Klängen und Rhythmen des Kongo, Kameruns und Äthiopiens - und der für Bonaparte schon in der Vergangenheit prägenden elektronischen Subkultur Berlins.

Was Jundt - wie viele vor ihm - überwinden möchte: Das Dilemma zeitgenössischer Künstler, dass viele Hypes der Gegenwart eigentlich Variationen von bereits Dagewesenem sind. Er will nicht den nächsten Radio-Dreiminüter liefern: «Wo ist das Lied, das noch nicht jeder kennt?». Jundt will sich lieber selbst überraschen, sich treiben lassen: «Ich will nur noch das, was mir passiert», singt er im namensgebenden «Was mir passiert».

Denn das, was «da» ist, fühlt sich für Jundt, der an der Universität Zürich einen Lehrauftrag für Songwriting hat, nicht mehr ganz «frisch» an: «Punk ist tot, Reggae ist tot, Jazz ist tot, Hip-Hop ist tot, Funk ist tot, Schlager ist tot, Techno - nicht tot, riecht aber komisch», heisst es in der ersten Single «Lied vom Tod».

Eine Lust auf Überraschungen und Zufälle spricht auch aus anderen Stücken, wie dem minimalistisch instrumentierten «Neues Leben», in dem Jundt eine weitere Reise beschreibt: die ins Familienleben. «Hier fängt ein neues Leben an», heisst es da. Das gilt hörbar auch für die Musik.

Und so finden sich auch abseits der Abidjan-Verbindung überraschende Kollaborationen. Auf «Big Data» etwa haben sich die Ärzte-Frontmänner Bela B. und Farin Urlaub verewigt. Bemerkenswert ist auch Sophie Hungers schweizerdeutsch mundartlicher Auftritt in «Dene wos guet geit» (Die, denen es gut geht) - ein Titel des 1972 tragisch bei einem Unfall gestorbenen Schweizer Liedermachers Mani Matter.

Die Politik findet bei Jundt auch zwischen den Zeilen statt: Schon die Entstehensgeschichte des Albums ist ein Plädoyer für ein Gesellschaftsverständnis, das an Grenzen nicht Halt macht. Manchmal werden die Dinge aber auch ausgesprochen. Doch niemals plakativ, sondern verpackt in einen Wortwitz - oder eben so, dass beim Hörer ein Interpretationsschritt anfällt.

«Wenn ich mich google, kriege ich Ekzeme. Denn meine Mutter ist die Mutter aller Probleme», reimt der Kosmopolit und Grenzgänger in «Weinbar» in Anlehnung an einen viel gescholtenen Ausspruch des deutschen Innen- und Heimatministers Horst Seehofer (CSU), der gesagt hatte, die Migration sei die «Mutter aller Probleme».

In der Gleichzeitigkeit unterschiedlichster Einflüsse und Themen ist «Was mir passiert» das wohl internationalste Bonaparte-Album - und zugleich das erste, das fast ausschliesslich deutsche Texte enthält. Kleiner Wermutstropfen: Mit ihm beginnt das Warten auf das nächste Jundt-Experiment.

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