Zum zweiten Mal in der Geschichte des Filmfests Venedig hat ein Dokumentarfilm den Goldenen Löwen gewonnen. Die US-Amerikanerin Laura Poitras bekam die Auszeichnung für ihr Werk «All the Beauty and the Bloodshed» über die Fotografin Nan Goldin. Damit erhielt zum dritten Mal in Folge und zum siebten Mal überhaupt seit 1949 eine Frau den Hauptpreis des Festivals.
Laura Poitras hält den Goldenen Löwen.
Laura Poitras hält den Goldenen Löwen. - Domenico Stinellis/AP/dpa

Das Wichtigste in Kürze

  • Poitras und andere Filmschaffende erinnerten nach der Preisverleihung am Samstagabend an die Lage des inhaftierten iranischen Regisseurs Jafar Panahi, der in Abwesenheit den Spezialpreis der Jury gewann.
Ad

Weitere wichtige Auszeichnungen gingen an die Französin Alice Diop für «Saint Omer» (Grosser Preis der Jury) sowie an Cate Blanchett und Colin Farrell.

Die 58-jährige Poitras ist für «Citizenfour» bekannt, ein oscarprämierter Dokumentarfilm über den Whistleblower Edward Snowden. «All the Beauty and the Bloodshed» erzählt von Goldins Familie, ihrem künstlerischen Schaffen und ihrem Kampf gegen die Familie Sackler, die für die Vermarktung des abhängig machenden Medikaments Oxycontin und Kultursponsoring bekannt ist. Goldin war selbst abhängig davon. Die 68-Jährige wurde mit intim wirkenden Fotografien berühmt, die Themen wie Sexualität, Krankheit, Begierde oder Gewalt behandeln.

«Ich finde, es ist eine wunderschön erzählte Geschichte über eine Frau, die sich ausgegrenzt fühlte und es geschafft hat, daraus Kunst zu kreieren», sagte Jury-Präsidentin Julianne Moore nach der Preisverleihung. Der Film erzähle «nicht nur ihre Geschichte, sondern auch die Geschichte der Opioidkrise in den USA. Wie eine Frau ihre Macht nutzt, um Veränderung zu bewirken.»

Poitras und Goldin haben für «All the Beauty and the Bloodshed» Interviews geführt. Goldins Erzählungen führen als Voice-Over durch den Film, dazu werden Videos und Fotos aus Goldins Leben gezeigt. Unter anderem erzählt die Fotografin, dass ihr vor einigen Jahren ein Arzt Oxycontin verschrieb. Goldin wurde schwer abhängig davon, machte schliesslich einen Entzug und begann, sich über das Medikament zu informieren.

Sie erfuhr, dass dem Pharmakonzern Purdue und der Eigentümerfamilie Sackler, die hinter Oxycontin stecken, vorgeworfen wird, das Schmerzmittel unter Verschleierung der Suchtgefahren mit rücksichtslosen und aggressiven Methoden vermarktet zu haben. Es wird davon ausgegangen, dass das Mittel zur grassierenden Medikamentenabhängigkeit und Drogen-Epidemie in den USA beigetragen hat. Gegen das Unternehmen laufen Tausende Klagen.

Die Eigentümerfamilie Sackler ist auch für ihr Mäzenatentum bekannt. Ausstellungsräume in den renommiertesten Museen sind wegen Geldspenden nach ihnen benannt. Dagegen hat Goldin gemeinsam mit Mitstreitern erfolgreich protestiert - so dass inzwischen Häuser wie das New Yorker Metropolitan Museum den Namen von Ausstellungsräumen entfernt haben.

Mit «All the Beauty and the Bloodshed» hat die Jury einen emotionalen Film ausgezeichnet, der so persönlich wie politisch ist. Er erzählt von gesellschaftlichen Entwicklungen, über die häufig geschwiegen wird. Und von dem inspirierenden Leben einer herausragend mutigen Künstlerin.

Ähnliches lässt sich auch über Jafar Panahi sagen. Der inhaftierte iranische Filmemacher wurde in Abwesenheit für «No Bears» mit dem Spezialpreis der Jury geehrt. Darin spielt der 62-Jährige sich selbst. Seit kurzem hält er sich im Film in einem kleinen iranischen Dorf in Grenznähe auf, sein Land darf er wegen einer Ausreisesperre nicht verlassen. Aus der Ferne dreht er via Videoschalte gemeinsam mit einem Team in der Türkei einen Film über ein Paar, das den Iran verlassen will. Neben dieser Geschichte geht es auch um die Geschehnisse im Dorf, dessen Bewohner Panahi seit kurzem ist.

Panahi wurde im Juli im Iran festgenommen. «Ich möchte alle im Raum daran erinnern, dass Jafar Panahi nicht hier bei uns sein kann, und dass wir alle für seine Freiheit kämpfen müssen», sagte Poitras nach der Preisverleihung, und erinnerte auch an andere inhaftierte Filmemacher.

Den Silbernen Löwen für die beste Regie erhielt der italienische Regisseur Luca Guadagnino für «Bones and All» - ein Liebesfilm über zwei junge Kannibalen. Der Preis für die beste Schauspielerin ging an Cate Blanchett für ihre Rolle in «Tár» (Regie: Todd Field). Sie spielt die fiktive erste Chefdirigentin eines grossen deutschen Orchesters namens Lydia Tár, deren Leben wegen Missbrauchsvorwürfen aus dem Ruder gerät. Colin Farrell erhielt für «The Banshees of Inisherin» den Preis als bester Schauspieler.

Die Filmfestspiele Venedig zählen neben den Filmfestspielen in Cannes und der Berlinale zu den bedeutendsten der Welt. Im diesjährigen Wettbewerb konkurrierten 23 Werke um die Preise.

Ad
Ad

Mehr zum Thema:

Edward SnowdenSchauspielerGewaltDrogenKunstArzt