Greta Thunbergs Asperger-Syndrom ist mitunter nützlicher Eigensinn
Die 16-jährige Klimaaktivistin Greta Thunberg hat wiederholt gesagt, ihr Asperger-Syndrom helfe ihr bei ihrem Kampf gegen den Klimawandel. Kann das sein?
Das Wichtigste in Kürze
- Greta Thunberg dankt unter anderem ihr Asperger-Syndrom für ihren unermüdlichen Einsatz.
- Das ist möglich, denn betroffene Menschen sind weniger von sozialer Bestätigung abhängig.
- Sie lassen sich weniger von Widerstand beirren und können ihr Ziel konsequent verfolgen.
«Manche Menschen machen sich wegen meiner Diagnose lustig über mich. Aber das Asperger-Syndrom ist keine Krankheit, es ist ein Geschenk.» Das schrieb die 16-jährige schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg diese Woche in einem Post auf Facebook.
Etwas ganz Ähnliches sagte sie kürzlich auch im Interview mit Christiane Amanpour auf CNN: Ihre andere Art zu denken, ihre Logik und ihre Schwarz-Weiss-Sicht würden ihr dabei helfen, ihre klare Botschaft rüberzubringen und sich konsequent fürs Klima einzusetzen. Und, sie sei nicht vom «Social Game» abgelenkt, das alle anderen so zu beschäftigen scheine.
Greta liegt das Soziale nicht
Das ist nachvollziehbar, denn Thunberg liegt das Soziale nicht, so wie keinem Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung. Betroffene können Gesichtsausdrücke, Mimik oder Tonfall eines Gegenübers nicht intuitiv einordnen, sondern nehmen in einem kognitiven Prozess jedes Detail einzeln wahr.
Deshalb ist es für sie schwierig, Emotionen nachzuempfinden und sich in sozialen Situationen angemessen zu verhalten. Dafür denken Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung sehr komplex, logisch und analytisch. Sie sind gut darin, Muster zu erkennen, und haben einen Sinn für kleinste Details, was sie vielfach zu sehr guten Beobachtern macht.
Doch auch die typische soziale Unempfindlichkeit kann mitunter ein Vorteil sein. Denn dadurch sind Asperger-Betroffene nicht von sozialer Bestätigung abhängig. Sie ziehen ihr Ding durch, egal ob ihnen Lob oder Kritik begegnet.
«Menschen mit Asperger-Syndrom sind vollständig egozentrisch», sagt Psychiaterin und Therapeutin Maria Asperger Felder. Sie ist die Tochter von Hans Asperger, der die nach ihm benannte Störung zum ersten Mal beschrieben hat, und behandelt selbst Kinder und Erwachsene mit Asperger-Syndrom.
Egozentrik «an sich nichts schlechtes»
«Egozentrik hat in unserem Sprachgebrauch zwar einen negativen Unterton, ist aber an sich überhaupt nichts schlechtes», sagt Asperger Felder. «Das heisst einfach, dass die ganze Motivation, etwas zu tun, aus einem selbst kommt.» Das verleiht Asperger-Betroffenen eine extreme Konsequenz, eine Art ultimative Zustimmung. «Wenn ein Asperger-Betroffener einmal ‘Ja’ sagt, dann meint er auch ‘Ja’.»
So wie Greta Thunberg: Sie hat sich entschieden, sich für den Klimawandel einzusetzen, und tut das konsequent und in typischer Asperger-Manier: Anstatt sich Gleichgesinnten anzuschliessen, setzte sie sich erst mal ganz allein vor das schwedische Parlamentsgebäude, um auf den Klimawandel aufmerksam zu machen – ohne Unterstützung ihrer Eltern und trotz des Widerstands ihrer Lehrer.
Und startete so innert Kürze die Schulstreik-Bewegung, die letzte Woche auch die Schweiz erfasst und zehntausende Menschen auf die Strasse getrieben hat.