Harvey Weinstein: Vom Tyrannen zum Greis
Als Filmmogul war Harvey Weinstein als tobender Tyrann gefürchtet. In seinem Vergewaltigungsprozess tritt der 67-Jährige nun als gebrechlicher Greis auf.
Das Wichtigste in Kürze
- Der Prozess um Harvey Weinstein spaltet die US-Gesellschaft.
- Längst hat der Fall eine Symbolkraft für die gesamte «MeToo»-Bewegung.
- Der Angeklagte selbst scheint mit Mitleid punkten zu wollen.
Gestützt auf einen Mitarbeiter humpelt Harvey Weinstein in den Gerichtssaal 1530, in dem über ihn geurteilt werden soll. In den vergangenen Wochen war er stets tief gebückt über seine Gehhilfe ins Oberste New Yorker Gericht gekommen.
Seine Gegner reden von einer Masche, um die Sympathie der Jury zu gewinnen. Seine Verteidigung bestreitet das, ein Autounfall habe eine Wirbelsäulen-OP des 67-Jährigen nötig gemacht. Vor Gericht jedenfalls erscheint kein aggressiver Mann auf der Höhe seiner Macht, sondern ein aschfahler, gebrochener Greis.
Ein offener Schlagabtausch
Am Tag der Eröffnungsplädoyers am Mittwoch gibt es bereits einen offenen Schlagabtausch. Staatsanwältin Meghan Hast bezeichnet Harvey Weinstein als «Vergewaltiger» und schildert die Vorfälle um ihn bis ins Detail.
«Sie haben ihnen ein Bild gemalt, ein albtraumhaftes», kontert der Anwalt von Harvey Weinstein Damon Cheronis. Danach zeigt er reihenweise Mails. Diese sollen zeigen, dass die Frauen auch nach den mutmasslichen Taten noch Zuneigung zu Weinstein gezeigt hätten.
Harvey Weinstein – ein Mann spaltet die Gesellschaft
Zwölf Geschworene und ihre Ersatzjuroren haben auf der rechten Seite Platz genommen. Die Anklage hatte der Verteidigung bei der Auswahl der Geschworenen vorgeworfen, junge Frauen aus der Jury ausschliessen zu wollen. Nun sind es fünf Frauen und sieben Männer, die über Schuld oder Unschuld bestimmen.
Wie tief der Fall von Harvey Weinstein in die US-Gesellschaft vorgedrungen ist, zeigte auch die schwierige Auswahl der Juroren. Reihenweise erklärten sich potenzielle Geschworene für befangen. Jene, die nun neben Richter James Burke sitzen, dürfen nur nach den präsentierten Beweisen urteilen.
Gerichtet wird in Manhattan nur über zwei Fälle. Die anderen Schilderungen von mehr als 80 Frauen dürfen für den Prozess keine Rolle spielen.
Harvey Weinstein sieht sich als Opfer
Gegenüber der «New York Times» gab sich Weinstein demütig, er habe «Möglichkeit zur Selbstreflexion» gehabt. Er sprach von der «Macht, verletzlich zu sein» und einer Therapie gegen Sexsucht. Trotzdem beharrt er darauf, dass seine sexuellen Kontakte einvernehmlich gewesen seien und sieht sich als Opfer.
Ein mit Weinstein befreundeter Anwalt meinte zuletzt, der auf Kaution freie Ex-Filmmogul habe grosse Angst vor lebenslanger Haft. In dem Prozess geht es um viel, für Weinstein um alles. Jetzt hat jeder ungelenk aufgesetzte Fuss eine Wirkung. Die Wissenschaft hat den Einfluss von Mitleid auf Jurys immer wieder nachgewiesen.