James Blunt singt in der Elbphilharmonie vor leeren Rängen
Das Wichtigste in Kürze
- Geisterstunde in Hamburg: Glocken läuten, als James Blunt (46) am Mittwoch die Bühne des Grossen Saals der Elbphilharmonie betritt.
«How it feels to be alive» ist der erste Song des Abends, den er mit seiner vierköpfigen Band darbietet - doch der lebensbejahende Titel täuscht. Es klingt wie ein Abgesang auf die Welt, wie wir sie kennen, wenn der britische Popsänger mit Worten wie «Every day is closer to the end» apokalyptische Szenarien heraufbeschwört. Die Zeile «Waiting to breathe for the last time» bekommt im Zusammenhang mit dem Coronavirus eine bittere, fast zynische Note.
Der Abend ist ein besonderer: Vor dem britischen Popsänger sind die 2100 Sitze frei geblieben - er spielt ein Geisterkonzert. Wegen der Ausbreitung von Sars-CoV-2 war am Mittwochnachmittag mitgeteilt worden, seinen Auftritt vor leeren Rängen stattfinden zu lassen. Interessierte konnten das Konzert wie geplant als Livestream kostenlos und weltweit im Internet verfolgen. «Aufgrund der jüngsten Entwicklungen findet der Telekom Street Gig vor Ort leider ohne Zuschauer statt», steht nun am unteren Bildschirmrand eingeblendet. Blunt schreibt Elbphilharmonie-Geschichte.
«Solche Konzerte dürften das Modell der Zukunft sein - definitiv aber für die nächsten Monate, wenn das Virus das öffentliche Leben beeinträchtigt», sagt Blunt im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur in Hamburg.
Dass er damit Recht haben dürfte, zeichnet sich schon ab. Die italienische Rocksängerin Gianna Nannini hat für den heutigen Donnerstag (16 Uhr) ein «virtuelles Konzert gegen Corona-Einsamkeit» angekündigt, das sie live aus ihrem Haus in Mailand über ihren Instagram-Account übertragen wird. Italien ist wegen der Ausbreitung des Coronavirus schon Sperrzone, doch auch in Deutschland begrenzen Theater oder Konzerthallen bereits die Besucherzahlen oder sagen Grossveranstaltungen ab.
So auch in Berlin. Der RBB will die Aufführung von Georges Bizets «Carmen» aus der Staatsoper Unter den Linden ebenfalls als Livestream zu den Menschen bringen. «Das ist das Fantastische an moderner Technologie», findet Blunt. «Wir bleiben in Verbindung über unsere Mobiltelefone. Wir sind in der Lage, solche Konzerte in Echtzeit zu übertragen. Es ist die Art, wie wir die Isolation überwinden können.»
Als Künstler habe er mit dieser Form der Darbietung kein Problem. «Es wird sehr anders sein, eine neue Erfahrung», mutmasste Blunt kurz vor dem Konzert. «Mein Bewusstsein weiss, dass das Publikum da ist, auch wenn ich es nicht sehe. Also performe ich für diese Menschen. Und stelle mir beim Anblick der leeren Stühle vor, was dort eigentlich sein sollte. Es dürfte unsere letzte Show für eine ganze Weile sein. All diese Emotionen werde ich miteinfliessen lassen.»
Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man vor dem Bildschirm denken, es sei ein normales Konzert. Blunt legt sich unglaublich ins Zeug und wirkt dabei kein bisschen unauthentisch. Eindringlich singt er Hits wie «You're Beautiful» und «Goodbye My Lover», spielt druckvoll auf der Akustikgitarre und springt auf sein Klavier, um die Musikerkollegen mit dem Handy bei der Arbeit zu filmen. «Ohne euch wäre es nur eine Probe», richtet Blunt das Wort an die Zuschauer in der digitalen Welt.
Von den Songs seines aktuellen Studioalbums «Once Upon A Mind» sticht besonders die Ballade «Monsters» für seinen erkrankten Vater hervor - die emotionale Darbietung überträgt sich auch übers Internet. Doch statt Jubel herrscht absolute Stille zwischen den Songs. Aussenaufnahmen der bunt erstrahlten Elbphilharmonie im Vollmondschein ersetzen die Szenen, in denen üblicherweise ein applaudierendes Publikum zu sehen ist.
«Normalerweise holen beim nächsten Song alle ihre Handys raus und erzeugen ein Lichtermeer», witzelt Blunt und macht sich das Licht selbst. Einmal bittet er die Kameramänner, das Mitsingen bei «High» zu übernehmen. Blunt ist allein, aber nicht einsam. Und hat sichtlich Spass: Schweissnass und strahlend schickt er immer wieder ein «Dankeschön» raus in die Welt. Am Ende des gut anderthalbstündigen Auftritts applaudieren er und seine Band sich selbst. Und das völlig zu Recht.