Leben zwischen zwei Welten: «Die Sommer»

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Deutschland,

Aufwachsen zwischen Bayern und einem syrisch-kurdischen Dorf: Ronya Othmann, die 2019 den Publikumspreis beim Bachmannpreis gewann, erzählt in «Die Sommer» eindringlich vom Leben zwischen zwei Kulturen.

«Die Sommer» von Ronya Othmann. Foto: --/Hanser Verlag/dpa
«Die Sommer» von Ronya Othmann. Foto: --/Hanser Verlag/dpa - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Ein Teil der Jury beim Bachmannpreis hatte im vergangenen Jahr Hemmungen, über den Text von Ronya Othmann zu urteilen.

Die 27-jährige Autorin las einen Bericht über den Völkermord an den Jesiden - einer ethnisch-religiösen Minderheit - durch die Terrormiliz «Islamischer Staat» vor. Einen Text über Genozid wolle es nicht kritisieren, sagte ein Jurymitglied danach, und es entspann sich eine Diskussion über Authentizität, Zeugenschaft und Unsagbarkeit.

Othmann gewann mit ihrem Text den Publikumspreis. Nun ist ihr Debütroman erschienen: die souverän erzählte, melancholische Geschichte der jungen Leyla, die zwischen zwei Kulturen hin- und hergerissen ist.

Auch darin berichtet Othmann, die am Literaturinstitut Leipzig studiert, von Jesiden. Leyla - die nach dem, was die Autorin in Interviews erzählt, einige biografische Ähnlichkeiten mit Othmann hat - lebt mit ihrem jesidisch-kurdischen Vater und einer deutschen Mutter in Bayern. Jede Sommerferien fährt die Familie nach Nordsyrien, um ihre Verwandten zu besuchen. Bis der Bürgerkrieg kommt.

Mit ausschweifender Sorgfalt berichtet die Erzählerin von den Erinnerungen, die sie an diese Ferien hat. Von den einfachen Hütten, den Feldern, den Hühnern. Allen voran von ihrer arbeitsamen und liebevollen Grossmutter, die das familiäre Leben zusammenhält, die Leyla das Kochen und das (traditionell mündlich überlieferte) Jesidentum nahebringt. Während sie ihr beibringt, warum Jesiden keinen Blattsalat essen, weiss sie vom Vater den Unterschied zwischen Panzerminen und Personenminen.

Der Leserin wird die vor Hitze flirrende Landschaft im Nordosten Syriens an der Grenze zur Türkei vorstellbar, gerne versinkt man in diese Welt, «diesen Geruch nach alter Frau und Sonne und Feld und den Sommern und dem Garten».

Doch immer, wenn sich Leyla wieder im Dorf eingelebt hat, muss sie zurück. Sie ist eine zwischen zwei Kulturen zerrissene junge Frau. «Alles an Leyla irritierte immer alle», heisst es an einer Stelle, und dabei ist es egal, ob es sich um ihre bayerischen Mitschüler handelt oder ihre kurdischen Verwandten. Nirgendwo fühlt sie sich ganz zugehörig.

Plötzlich sind die Sommer für Leyla bei ihren kurdischen Verwandten vorbei. «Die Sommer» ist auch eine Geschichte über Krieg und die Unfähigkeit, etwas gegen den Terror zu tun, während man als junge Frau in der Nähe von München lebt und die Nachrichten aus Syrien über den Fernseher und Telefonanrufe mitbekommt. Über die Distanz, die man zu seinem deutschen Umfeld spüren muss, während man selbst Teil einer Gruppe ist, die ständig mit dem Tod rechnet. «Sassen sie beim Mittagessen oder bewässerten am späten Nachmittag den Garten, stellte sich Leyla vor, bald träte eine Katastrophe ein», heisst es an einer Stelle. «Sie wusste, Katastrophen konnten plötzlich kommen, wie damals vor vielen Jahren, als der Vater der Grossmutter im Schatten eines Baumes gelegen hatte und Mittagsschlaf machte und Männer kamen und ihn töteten.»

Leyla hat riesiges Mitgefühl mit dem Leben ihrer kurdischen Verwandten. Die Trauer, nichts tun zu können, aber etwas tun zu wollen, wird greifbar. Gleichzeitig ist Leyla auch eine deutsche Jugendliche, die sich mit ihrer Freundin betrinkt, Schminke klaut und schliesslich zum Studieren nach Leipzig zieht. Aus dieser Gleichzeitigkeit von deutschem Teenager- und Studentinnen-Leben und den Erzählungen des syrischen Bürgerkriegs entfaltet sich eine zerreissende Energie.

Die Hilflosigkeit der Protagonistin schreit einem entgegen. Dafür braucht Othmann nicht viele Worte, ihr Erzählstil ist reduziert. Leylas deutsche Freundinnen verstehen ihre Verzweiflung nicht, interessieren sich nicht für das Geschehen in Syrien. Da ist es folgerichtig, dass Leyla zur Erzählerin werden muss, um ihrer Trauer Raum und den politisch Verfolgten eine Stimme zu geben. Den Lesern bringt sie damit die verdrängte Geschichte einer Minderheit nahe, die viel zu oft zum Verstummen gebracht wurde.

- Ronya Othmann: Die Sommer, Hanser Verlag, 288 Seiten, 22,00 EUR, ISBN 978-3-446-26760-2.

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