Merkel: «Klar, dass ich etwas Besonderes erlebte»

Keystone-SDA
Keystone-SDA

Deutschland,

16 Jahre hat die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel Deutschland regiert. Nun legt sie ihre Erinnerungen als Buch vor.

Merkel bei voraussichtlich letzter Kabinettssitzung
Merkel bei voraussichtlich letzter Kabinettssitzung - POOL/AFP

Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel hat in ihrer Amtszeit den Wunsch der Ukraine nach einem schnellen Nato-Beitritt auszubremsen versucht, weil sie bereits damals eine militärische Antwort Russlands befürchtete. Das berichtet die 70-jährige Christdemokratin in ihren am Dienstag erscheinenden Memoiren, aus denen die «Zeit» vorab einen Auszug veröffentlicht hat.

In dem Buch mit dem programmatischen Titel «Freiheit» beschreibt Merkel denkwürdige Begegnungen mit SPD-Kanzler Gerhard Schröder, dem damaligen und künftigen US-Präsidenten Donald Trump sowie Russlands Präsidenten Wladimir Putin.

Und sie bezieht Position auch in einer aktuellen Entwicklung: Sie bekennt, dass sie sich einen Sieg der demokratischen US-Präsidentschaftsbewerberin Kamala Harris gewünscht habe, und zwar «von Herzen», wie sie schreibt.

Was berichtet Merkel worüber?

Ihre Politik gegenüber der Ukraine wird Merkel in Kiew bis heute vorgehalten. Über den entscheidenden Nato-Gipfel 2008 in Bukarest, als es um einen Plan für einen Beitrittskandidaten-Status der Ukraine und Georgiens ging, schreibt die damalige Kanzlerin: «Ich verstand den Wunsch der mittel- und osteuropäischen Länder, so schnell wie möglich Mitglied der Nato zu werden.» Aber: «Die Aufnahme eines neuen Mitglieds sollte nicht nur ihm ein Mehr an Sicherheit bringen, sondern auch der Nato

Dabei sah sie Risiken hinsichtlich der vertraglich abgesicherten Präsenz der russischen Schwarzmeerflotte auf der ukrainischen Halbinsel Krim. «Eine solche Verquickung mit russischen Militärstrukturen hatte es bislang bei keinem der Nato-Beitrittskandidaten gegeben. Ausserdem unterstützte damals nur eine Minderheit der ukrainischen Bevölkerung eine Mitgliedschaft des Landes in der Nato», erinnert sie sich.

«Ich hielt es für eine Illusion anzunehmen, dass der MAP-Status (Beitrittskandidaten-Status) der Ukraine und Georgien Schutz vor Putins Aggression gegeben hätte, dass also dieser Status so abschreckend gewirkt hätte, dass Putin die Entwicklungen tatenlos hingenommen hätte. Wäre es damals im Ernstfall vorstellbar gewesen, dass die Nato-Mitgliedstaaten militärisch – mit Material wie mit Truppen – geantwortet und eingegriffen hätten? Wäre es vorstellbar gewesen, dass ich als Bundeskanzlerin den Deutschen Bundestag um ein solches Mandat auch für unsere Bundeswehr gebeten und dafür eine Mehrheit bekommen hätte?»

Am Ende stand ein Kompromiss, der aber einen Preis hatte, wie Merkel schreibt: «Dass Georgien und die Ukraine keine Zusage für einen MAP-Status bekamen, war für sie ein Nein zu ihren Hoffnungen. Dass die Nato ihnen zugleich eine generelle Zusage für ihre Mitgliedschaft in Aussicht stellte, war für Putin ein Ja zur Nato-Mitgliedschaft beider Länder, eine Kampfansage.»

Merkel befragte Trump zu Putin

Bei ihrem ersten Treffen mit dem damals neu gewählten US-Präsidenten befragte der sie 2017 im Oval Office des Weissen Hauses nach ihrem Verhältnis zu Putin. «Der russische Präsident faszinierte ihn offenbar sehr. In den folgenden Jahren hatte ich den Eindruck, dass Politiker mit autokratischen und diktatorischen Zügen ihn in ihren Bann zogen», schreibt Merkel.

Die anschliessende Pressekonferenz gestaltete sich schwierig. Trump habe Deutschland Vorhaltungen gemacht, sie habe mit Zahlen und Fakten geantwortet. «Wir redeten auf zwei unterschiedlichen Ebenen. Trump auf der emotionalen, ich auf der sachlichen... Eine Lösung der angesprochenen Probleme schien nicht sein Ziel zu sein», erinnert sie sich. «Es kam mir vor, als ob er es darauf anlegte, seinem Gesprächspartner ein schlechtes Gewissen zu machen. Als er merkte, dass ich energisch dagegenhielt, beendete er unvermittelt seine Tirade und wechselte das Thema. Gleichzeitig wollte er, so mein Eindruck, seinem Gesprächspartner auch gefallen.»

Trump habe alles aus der Perspektive des Immobilienunternehmers gesehen, der ein Grundstück haben wolle. «Für ihn standen alle Länder miteinander in einem Wettbewerb, bei dem der Erfolg des einen der Misserfolg des anderen war. Er glaubte nicht, dass durch Kooperation der Wohlstand aller gemehrt werden konnte.»

In ihrer Privataudienz bei Papst Franziskus wenige Monate später sprach Merkel ihre Sorge an, dass sich die USA unter Trump aus dem Pariser Klimaabkommen zurückziehen. «Ohne Namen zu nennen, fragte ich ihn, wie er mit fundamental unterschiedlichen Meinungen in einer Gruppe von wichtigen Persönlichkeiten umgehen würde. Er verstand mich sofort und antwortete mir schnörkellos: ‹Biegen, biegen, biegen, aber achten, dass es nicht bricht.› Dieses Bild gefiel mir.»

Denkwürdig auch die Szene, mit der Merkel 2005 ins Amt kam: als nämlich SPD-Kanzler Gerhard Schröder in der Fernsehrunde am Abend der Bundestagswahl seine Niederlage nicht eingestehen wollte und der – allerdings denkbar knappen – Siegerin in rauem Ton prophezeite, seine Partei werde ihr niemals als Koalitionspartner ins Kanzleramt verhelfen.

«Ich selbst sass da, als wäre ich gar nicht Teil des Ganzen, sondern als schaute ich mir zu Hause vor dem Fernseher die Szene an. Immer wieder sagte ich mir: Begib dich nicht mit den anderen in den Clinch, dann fängst du auch noch an, dich im Ton zu vergreifen. Mir war vollkommen klar, dass ich etwas Besonderes erlebte, aber alles lief eher unbewusst ab. Ich bezweifelte sehr, ob Gerhard Schröder einem Mann gegenüber genauso aufgetreten wäre», erinnert sich die Frau, die danach noch 16 Jahre lang regieren sollte.

Kommentare

Merlin

Hat sie die Bücher von Thilo Sarrazin schon gelesen?

User #3240 (nicht angemeldet)

Erinnerungen der Frau Merkel? Aussitzen und „wir schaffen das“. Ist mir in Erinnerung ihrer „Regierungszeit „ geblieben. Und dass sie kräftig am Niedergang Deutschlands, ja Europas mitgewirkt hat. Danke Frau Merkel!

Weiterlesen

US-Wahlen
24 Interaktionen
Freizeit
29 Interaktionen

Mehr in People

Luca Hänni Baschi
10 Interaktionen
Oliver Pocher
2 Interaktionen
a
192 Interaktionen

Mehr aus Deutschland

1 Interaktionen
Anschlag in Magdeburg
14 Interaktionen