Richard Kruspe: Nach letzter Tour in «tiefes Loch» gefallen
Das Wichtigste in Kürze
- Richard Kruspe veröffentlicht mit der Band Emigrate das vierte Studioalbum.
- Nun spricht er darüber, dass er nach der letzten Rammstein-Tour in ein «tiefes Loch» fiel.
Richard Kruspe (54) ist Gründungsmitglied und Gitarrist von Rammstein. Seit 2005 hat er jedoch auch eine weitere Band, die er als sein «persönliches Gleichgewicht» beschreibt: Mit Emigrate veröffentlicht der Musiker am 12. November bereits das vierte Studioalbum «The Persistence of Memory».
Im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news erzählt Kruspe, ob er je mit der Gruppe auf Tour gehen wird. Ausserdem spricht er über das «tiefe Loch», in das er nach der letzten Rammstein-Tour gefallen ist, und verrät, wann das neue Album der Kultband erscheinen wird.
Emigrate ist für Sie der musikalische Ausgleich zu Rammstein. Wie schaffen Sie diese Balance zu halten?
Richard Kruspe: Durch Emigrate ist die Balance erst entstanden. Emigrate ist nicht nur eine musikalische Freiheit, sondern auch die Freiheit, das machen zu dürfen und zu können, was ich will - und zwar wann immer ich es will. Es gibt keinen kommerziellen Druck. Ein Emigrate-Album ist für mich auch wesentlich persönlicher, weil der kreative Prozess komplett bei mir liegt.
Trotzdem merke ich immer wieder, dass die Arbeit im Team viele positive Aspekte hat. Manchmal hat man Ideen, von denen man nicht weiss, ob sie gut oder schlecht sind. Durch das Team merkt man dann sehr schnell, ob Ideen nachhaltig sind. Ich brauche Emigrate für mein persönliches Gleichgewicht.
2014 haben Sie in einem Interview gesagt, dass Sie mit Emigrate keine Konzerte geben wollen. Wird es dabei bleiben?
Kruspe: Die Welt des Live-Spielens habe ich mit Rammstein. Da habe ich auch nie das Gefühl gehabt, zu wenig live zu spielen. Das sehe ich eigentlich auch heute noch so, auch wenn das Eis ein wenig dünner wird, da ich natürlich von vielen Seiten gefragt werde. Sollte Rammstein irgendwann nicht mehr live spielen, dann denke ich da eventuell noch einmal drüber nach.
Viele Menschen haben sich in den Lockdowns darauf besonnen, was Ihnen wirklich wichtig ist im Leben. Wie war das bei Ihnen?
Kruspe: Ehrlich gesagt hatte ich mich schon vor Corona in Isolation begeben, nach der letzten Rammstein-Tournee. Das war vielleicht die grösste Tour in unserer Bandgeschichte und als ich anschliessend nach Hause kam, bin ich erstmal in ein tiefes Loch gefallen. Ich habe mich zurückgezogen, habe zwischendurch auch überlegt, mit der Musik aufzuhören. Weil ich darin keinen Sinn mehr gesehen habe.
So eine Depression erlebt man natürlich nicht gerne und wenn man keine Hilfe von aussen holt, muss man extrem stark sich selbst reflektieren können.
Also floh ich in die Erinnerungen, in die Vergangenheit. Sie war das Einzige, das ich hatte. Ich stiess auf diese ganzen alten Songs und Ideen und betrachtete sie noch mal genau.
Sie halfen mir dabei, mich wieder in die Gegenwart zu bewegen, um danach endlich wieder in die Zukunft schauen zu können. Eine Zeitreise zurück zur Inspiration.
Die Livebranche lag und liegt besonders brach. Wie ging und geht es Ihnen mit dieser Situation?
Kruspe: Konzerte zu spielen ist sicher ein Teil meines Berufs, aber nur ein kleiner. Dieses Gefühl «Ich muss mich auf der Bühne darstellen», das hatte ich nie. Für mich war der Moment des Entstehens einer Komposition immer interessanter, der kreative Prozess im Studio ist mir wichtiger als das Rekreieren auf der Bühne.
Sie haben schon mit vielen Musikstars gearbeitet, unter anderem mit Marilyn Manson. Was halten Sie von den Vorwürfen gegen ihn? Würden Sie trotzdem noch einmal mit ihm arbeiten?
Kruspe: In dubio pro reo («Im Zweifel für den Angeklagten», Anm. d. Red.).
Prinzipiell bin ich aber sehr gegen Machtmanipulation jeglicher Art, egal ob als Musiker, TV-Produzent, Fotograf oder Eltern. Die Ausnutzung von Macht auf andere ist mir extrem zuwider. Ich würde mit Herrn Manson nicht mehr arbeiten, aber nicht wegen dieser Vorwürfe, sondern weil ich mit ihm bereits zusammengearbeitet habe.
Die geplante Europatour mit Rammstein wurde auf 2022 verschoben. Wie sehr vermissen Sie die Bühne?
Kruspe: Natürlich vermisst man etwas besonders, wenn man es nicht darf oder es gerade nicht möglich ist. Also ja, ich freue mich auf die kommende Tour mit Rammstein.
Halten Sie Konzerte mit 2G- bzw. 3G-Regeln für sinnvoll?
Kruspe: Ich finde Konzerte immer sinnvoll.
Bei Rammstein ist ein Album in der Pipeline. Dürfen Sie schon etwas darüber verraten?
Kruspe: Das Album wird voraussichtlich im nächsten Jahr vor der Tour erscheinen.
«The Persistence of Memory» ist nicht nur der Titel des neuen Emigrate-Albums, sondern auch der eines bekannten Werks von Salvador Dalí. Was verbinden Sie mit dem Gemälde?
Kruspe: Das Vergehen der Zeit, Verfall, Vergänglichkeit und zugleich das Gefühl der Zeitlosigkeit. Die Verbindung aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
Wie kam es dazu, dass Sie den Klassiker «Always On My Mind» gemeinsam mit Till Lindemann gecovert haben?
Kruspe: Lange Geschichte. Eine Plattenfirma wollte vor Jahren mal ein Elvis-Coveralbum machen. Ich fing an zu schreiben, verwarf es aber irgendwann wieder.
Ich war aber so unfassbar fasziniert von Elvis' Stimme in diesem Song. Egal, welches Instrument ich im Studio hochgefahren habe: Sie hat sich immer durchgesetzt.
Ich wollte dann diese Version schon zur Veröffentlichung von «Silent So Long» rausbringen. Aber dann gab es rechtliche Probleme. Ich habe überlegt, wer eine so prägnante Stimme hat.
Und dann kam ich auf Till. Manchmal ist es eben einfach zu naheliegend. Ich fragte ihn, er hatte Lust darauf und wir nahmen das Ganze letztendlich dann sogar als Duett auf, weil ich es so emotionaler fand.
Sie haben in letzter Zeit Ihre Liebe zur elektronischen Musik wiederentdeckt. Werden Sie dennoch weiter Rockmusik machen?
Kruspe: Moderne, auch junge Einflüsse sind wichtig. Ich interessiere mich dafür, wie sich Musik weiterentwickelt. Die Rockmusik ist keine Volksmusik mehr. Die Rebellion ist heutzutage nicht mehr in der Rockmusik, sondern in Texten zu finden, die vor allem im Hip-Hop zu hören sind.
Jetzt leben wir in einem Übergang von der analogen zu einer digitalen Welt. Das Hörverhalten verändert sich. Und da stelle ich mir dann schon die Frage: Wird das auch das Songwriting verändern? Steht eine Musikrevolution bevor?
Den Hang zur elektronischen Musik hatte ich schon in meiner Jugend. Bands wie Kraftwerk und Depeche Mode haben mich schon immer inspiriert.
Die Art, wie ich Songs schreibe, hat sich bei mir natürlich auch verändert. Früher stand am Anfang stets ein Gitarrenriff, aus dem sich alles entwickelt hat. Heute arbeite ich mit vielen anderen Instrumenten.
Emigrate sollte ursprünglich nur ein Projekt sein, mittlerweile veröffentlichen Sie das vierte Album. Was planen Sie für die Zukunft der Band?
Kruspe: Mit Emigrate stelle ich mich natürlich immer neuen Herausforderungen. Ein rein elektronisches Album könnte die neue Herausforderung sein.