Rock-Ikone Neil Young wird 75
Es gibt kommerziell erfolgreichere Rockmusiker als Neil Young - aber nur wenige sind mit ihrem Gesamtwerk so bedeutsam und stilprägend wie dieser Kanadier. Stillstand ist auch nach dem 75. Geburtstag des längst legendären Sängers und Gitarristen nicht zu erwarten.
Das Wichtigste in Kürze
- Pflegeleicht war er nie - weder für Freunde und Bandkollegen noch für Plattenfirmen und Fans.
Aber vielleicht kann nur ein oft unbequemer Musiker und Mensch wie Neil Young über sechs Dekaden ein so monumentales, einflussreiches Werk abliefern.
Jetzt wird der kanadische Singer-Songwriter und Gitarrist, der im Januar eigens zur (letztlich erfolgreichen) Abwahl von Donald Trump auch die US-Staatsbürgerschaft erwarb, 75 Jahre alt.
Der am 12. November 1945 in Toronto als Sohn eines Sportjournalisten geborene Young war nie ein feinsinnig-belesener Folk-Poet wie Bob Dylan oder Leonard Cohen - seine Songverse sind einfach gestrickt, gehen mit Furor, Mitgefühl und Melancholie aber ähnlich tief unter die Haut. Young wurde auch kein Rock-Volkstribun für riesige Stadien wie Bruce Springsteen - und doch kann er in höllisch lauten Konzerten mit eindringlichen Liedern und schier endlosen Gitarrensoli Tausende unter Strom setzen.
Single-Hits hatte dieser mit einer gewöhnungsbedürftig fragilen (manche sagen: fisteligen) Stimme ausgestattete Musiker nur sehr sporadisch. Am nächsten dran an einer weltweiten Charts-Karriere war Young als Mitglied der populären Folkrock-Supergruppe Crosby Stills Nash & Young, mit der er 1969 beim legendären Woodstock-Festival auftrat. Und wenig später mit dem zarten Countrypop-Album «Harvest» (1972) inklusive der Sehnsuchtsballade «Heart Of Gold».
Doch anstatt diese Erfolgsfäden weiterzuspinnen, nahm der regelmässig seine Bandbesetzungen wechselnde Songschreiber schwierige, eher unkommerzielle Platten auf, mit denen er neu gewonnene Verehrer vor den Kopf stiess: «Time Fades Away», «On The Beach» und «Tonight's The Night» - heute anerkannte Klassiker des Genres.
«'Heart Of Gold' brachte mich auf die Mitte der Strasse», so erklärte Young später den Kurswechsel. «Dort zu verweilen wurde für mich schnell langweilig, so steuerte ich auf den Graben zu. Eine schwierigere Fahrt, aber ich lernte dort interessantere Leute kennen.»
Mit solchem Mut zum Risiko schuf der von Kinderlähmung, Epilepsie und anderen Krankheiten heimgesuchte Musiker Referenzplatten zwischen Folk, Rock und Country - gleich sieben rangieren in der «ewigen Bestenliste» des US-Musikmagazins «Rolling Stone». Auch spätere Alben wie «Ragged Glory» (1990), das schmerzhaft-schöne «Harvest Moon» (1992), «Mirror Ball» (1995) oder «Psychedelic Pill» (2012) sind grandios. Manchmal spielt er mit viel jüngeren Musikern wie Pearl Jam oder Promise Of The Real, die ihn vergöttern - um sich bald wieder mit den raubeinigen Langzeitbegleitern Crazy Horse zu verbünden.
Youngs Gesamtwerk mit Dutzenden Studio- und Live-Alben (besonders mitreissend: «Live Rust») ist deswegen ausufernd, unübersichtlich, auch erratisch. Ja, es gibt richtig schwache Platten, besonders aus den 80er Jahren, mit denen er wohl sein Label ärgern wollte. Auch im höheren Rocker-Alter kommen verwirrend zahlreiche neue Einspielungen hinzu. Zudem gibt Young seit längerem mit wachsender Begeisterung Einblicke in sein riesiges Archiv - da dürften noch einige Nuggets zum Vorschein kommen.
Seit er seine erste wichtige Band Buffalo Springfield verliess, um ab 1968 zumeist als Solokünstler zu arbeiten, sei Young «seiner Muse in unvorhersehbare Richtungen gefolgt», aber stets ein grosser, innovativer Songwriter geblieben, urteilt das Online-Lexikon «Allmusic».
Nicht nur stilistische, sondern auch persönliche Bindungen schüttelte er bisweilen brüsk ab, etwa zum Musikerfreund David Crosby oder zu den langjährigen Partnerinnen Carrie Snodgress und Pegi Young-Morton, mit denen er insgesamt drei Kinder hat. Seit 2018 ist er mit der Hollywood-Schauspielerin Daryl Hannah (59) verheiratet.
Neil Young selbst beschrieb seinen unbezähmbaren Drang nach vorn mal so: «Eine gute Sache an der Vergangenheit ist doch, dass man sie nicht mehr ändern kann. Also gibt es auch keinen Grund, zurückzugehen (...) Die einzige Sache, die man ändern kann, ist die Gegenwart - und was als Nächstes passiert.»
In diesem Licht ist auch Youngs politisches Engagement zu sehen - für linksliberale (Hippie-)Werte, Umwelt- und Klimaschutz, notleidende Farmer oder Bürgerrechte, etwa von Afroamerikanern und Ureinwohnern in den USA und Kanada. Seine Triumphgefühle über Trumps Abwahl drückte er schon unmittelbar nach der Entscheidung vom 7. November auf seiner Webseite aus - mit einem Strahlemann-Bild des designierten neuen US-Präsidenten Joe Biden und der Überschrift «Biden beats Trump» aus der «New York Times».
Angesichts von so viel Feuer und Rastlosigkeit ist es fast ein Wunder, dass Neil Young einer seiner bekanntesten Songzeilen nicht selbst gefolgt ist: «It's better to burn out than to fade away» (Es ist besser, auszubrennen, als zu verblassen).
Er marschierte stoisch weiter und ist bis heute weder ausgebrannt noch verblasst. Man muss nur den ewigen, epischen Kampf des hochgewachsenen, verwitterten Mannes mit seiner berühmten Les-Paul-Gitarre «Old Black» auf einer Konzertbühne beobachten, um diesen Eindruck bestätigt zu finden: Hier will ein phänomenaler Rockmusiker offenkundig «forever Young» bleiben.