Romantiker und Rebell: Rembrandt ist einer von uns
Vor 350 Jahren starb der berühmte Maler in Amsterdam. Die Niederlande packen gewaltig aus im Rembrandt-Jahr, und die Faszination ist gross. Jede Zeit hat ihr eigenes Bild von dem Maler. Und er überlebte alle.
Das Wichtigste in Kürze
- Tausende Menschen säumen die Strassen von Amsterdam.
Musik-Kapellen spielen, reich geschmückte Pferde ziehen Prachtwagen mit allegorischen Figuren. Das sonst so nüchterne calvinistische Amsterdam erlebt einen bombastischen Umzug, als wäre Karneval.
Es ist 1906, der 300. Geburtstag von Rembrandt van Rijn (1606-1669) wird gefeiert. Diesem Hype könne sich keiner entziehen, spottet damals der Satiriker Albert Hahn: «Mit Rembrandt-Hut auf Rembrandt-Locken, an meinen Waden Rembrandt-Socken».
Und nun, 2019, begehen die Niederlande den 350. Todestag des Malers am 4. Oktober - und das ein ganzes Jahr lang. Und wieder gibt es einen Rembrandt-Hype. Ausstellungen, Filme, Souvenirs: Rembrandt-Mousepad, Rembrandt-Shirt und natürlich Rembrandt-Socken. Der Satiriker Hahn hätte sein wahre Freude daran.
«Von Rembrandt kann man eben nie genug bekommen», sagt der Direktor der Abteilung Malerei des Amsterdamer Reichsmuseums, Gregor Weber, mit feinem Spott. Und der deutsche Kunsthistoriker hat ja recht. «Er berührt uns, er erzählt menschliche Geschichten, er ist einer von uns.» Jede Zeit, so Weber, hat ihr eigenes Rembrandt-Bild. Und jetzt geht es um den Menschen. Doch so viel ist gar nicht bekannt vom Leben des Malers.
Er wird als Sohn eines Müllers in Leiden geboren und macht in Amsterdam dann eine grosse Karriere. Rembrandt trifft seine grosse Liebe Saskia. Die Reichen und Mächtigen des Goldenen Zeitalters sind seine Auftraggeber. Dann kommt der Abstieg. Der Tod der geliebten Frau und des Sohnes Titus, die Pleite. Am Ende stirbt der Maler einsam, verarmt. Es ist heute kaum vorstellbar: Aber zum Zeitpunkt seines Todes ist Rembrandts Kunst aus der Mode.
Im Klassizismus ist für seine Werke kein Platz mehr. Kunst soll nun erhaben sein und einem höheren Zweck dienen. Und da sind Rembrandts prächtige Skizzen des Alltags nicht länger gefragt, nicht das Menschliche in seinen Porträts und auch nicht der Realismus wie etwa in der «Anatomie des Dr. Tulp» (1632), die Obduktion der Leiche eines Hingerichteten.
Der Stil soll nun fein und klar sein. Rembrandts Bilder aber waren dunkel, seine Pinselführung expressiv. Er hatte ja sogar mit dem Palettenmesser die Farbe auf die Leinwand gedrückt. Selbst bei einem so intimen Gemälde wie «Die jüdische Braut» meint man, dass die Brocken von Farbe abbrechen könnten.
Erst die Romantiker in Frankreich und Deutschland entdecken ihn neu. Er entspricht ihrem Idealbild: Der Maler, der den Menschen ergründen wollte. Das einsame Genie, der Unverstandene. Rembrandts Geldprobleme werden idealisiert und auch seine Liebe zu seiner ersten Frau Saskia. Dass der Maler seine vormalige Haushälterin und Geliebte Geertje Dircx wegen vermeintlichen Diebstahls ins Spinnhaus sperren liess, wird unter den Teppich gekehrt, das passt nicht zu dem Bild.
Erst Jahrzehnte später wird Rembrandt auch in seiner Heimat wieder entdeckt. 1830 spaltet sich Belgien vom Königreich der Niederlande ab und vereinnahmt den flämischen Maler Peter Paul Rubens als belgischen Nationalhelden. Da können die Niederlande nicht zurückstehen. Rembrandt wird zum idealen Gegenstück zu Rubens aufgebaut. Er repräsentiert die freiheitliche protestantische Republik des 17. Jahrhunderts. Rubens dagegen war der katholische Hofmaler der spanischen Unterdrücker gewesen.
«Rembrandt wurde zum holländischen National-Helden gemacht», schreibt der Historiker Rob Hartmans. Und der Weg ist frei für den Rembrandt-Kult. 1852 wird in Amsterdam das erste Denkmal für den Maler errichtet. Einige Jahre später baut der Architekt Pierre Cuypers im neuen Reichsmuseum in der Hauptstadt eine «Ehrengalerie», in der «Die Nachtwache», das berühmteste Gemälde Rembrandts, einen prominenten Platz erhalten sollte - wie der Hochaltar in einer Kathedrale.
Beim grossen Fest zum 300. Geburtstag 1906 stellen die Redner befriedigt und nicht gerade unbescheiden fest: «Rembrandt ... unser Maler, ist nicht nur der Maler Hollands, sondern von der ganzen Welt geworden.»
Das sollte man später allerdings mit sehr gemischten Gefühlen bewerten. Denn in Deutschland wird der holländische Maler sogar völkisch vereinnahmt. Grundlage ist 1890 das Buch des Nationalisten Julius Langbehn «Rembrandt als Erzieher». Ein Mega-Bestseller mit 39 Auflagen in nur zwei Jahren. Rembrandt wird als «Niederdeutscher» gegen die Rationalität der Moderne in Stellung gebracht.
Das setzen die Nazis fort. Sie propagieren einen Rembrandt-Kult im 1940 besetzten Holland. Die Niederländer sollen sogar statt des Geburtstages ihrer Königin Wilhelmina den Geburtstag Rembrandts feiern. Das ist aber ein totaler Fehlschlag. Am Ende überlebt Rembrandt sogar diese Vereinnahmung.
Für jede Generation hat Rembrandt eine besondere Bedeutung. Der Meister von Licht und Schatten, der Rebell oder der Mensch. Das Entscheidende aber ist seine Kunst. Sein Werk ist zugänglich, meint Taco Dibbits, Direktor des Amsterdamer Reichsmuseums. «Ich habe ihn sogar einmal den ersten Instagrammer genannt. Er ist der erste Künstler, der sich selbst wie besessen als eigenes Modell nimmt.» Seine Bildsprache, sein Auge für Details seien aktuell. Rembrandt sei eben mehr als nur ein holländischer Maler, sagt Dibits, «er ist Weltkulturerbe».