Schweizer Dokfilm geht dem Eismann auf die Spur
Mit dem Dokumentarfilm «Der Eismann» würdigt Regisseurin Corina Gamma das Leben des 2020 tödlich verunglückten Polarforschers Konrad Steffen.

Mit der Dokumentarfilm «Der Eismann» würdigt Regisseurin Corina Gamma das Leben von Konrad Steffen. Der Polarforscher war 2020 auf Grönland tödlich verunglückt.
«Er liebte Eisberge», sagt Corina Gamma. «Er» ist Konrad Steffen (1952-2020), Schweizer Polar- und Klimaforscher, der Eismann eben. Mit ihrem neuesten Film hat ihm die Innerschweizer Regisseurin Corina Gamma ein Denkmal gesetzt. Tragischerweise erst nach seinem Tod.
Im August 2020 erschütterte die Nachricht vom Unfall des Schweizer Klimaforschers Konrad «Koni» Steffen die Öffentlichkeit und die wissenschaftliche Gemeinschaft weltweit. Der Forscher war von einem Routinegang zu einer Messstation auf dem grönländischen Eisschild nicht mehr zum Basislager «Swiss Camp» zurückgekehrt. Bis heute weiss man nicht, was genau geschehen ist.
Konrad Steffen und seiner Verbindung zur Arktis
Gamma hat sich auf Spurensuche begeben – in ihrem Film geht es um sein Leben, um Vergänglichkeit und weniger um Steffens Tod. Die Regisseurin kannte Koni, wie sie ihn im Dokfilm nennt, schon lange. Einst war er im Dokumentarfilm «Sila and the Gatekeepers of the Arctic – Sila und die Hüter der Arktis» einer von mehreren Protagonisten gewesen. In diesem Film von 2015 hatte Gamma das Konzept der Sila zu ergründen versucht – ein facettenreicher Begriff in Grönland, der das Wetter, das Bewusstsein und das Universum umfasst.
Bereits Jahre zuvor war sie mit Konrad Steffen bekannt gemacht worden. «Als wir über Grönland sprachen, ist das Eis gebrochen», sagt die Regisseurin, die heute in Los Angeles lebt, gegenüber der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Sie habe Glück gehabt, sagt sie, denn damals war Steffen noch kein Superstar in der Szene. Man kannte ihn zwar, aber sein «Swiss Camp» wurde noch nicht überrannt.
Gamma konnte zwei Wochen dort verbringen, wie vor ihr etwa der einstige US-Vizepräsident und Umweltschützer Al Gore, der auf Recherche für eine Fortsetzung seines Film «An inconvenient truth» dort gewesen war. Die Aufnahmen von Gammas Aufenthalt sind in «Der Eismann» zu sehen. Sie machen die Documentary zu einem wertvollen Zeitdokument. Die Regisseurin sagt: «Das war lässig mit Koni, der seine Arbeit stets mit Personen, die nicht aus der Wissenschaft stammen, teilen wollte. Er war sehr offen.»
«Ich liebe offene Landschaften», sagt Konrad Steffen im Film denn auch einmal. Offen war auch sein Geist, das bezeugen die Protagonisten im Dokfilm, allen voran seine beiden erwachsenen Kinder und seine Schwester. Regisseurin Gamma – und der Wissenschaftler Steffen – hatten lange vor dessen Tod die Idee gehabt, einen Film zu drehen: über den Klimawandel, das ewige Eis, hauptsächlich aber über sein Leben.
Zustimmung der Hinterbliebenen
Corina Gamma war, «wie alle andern auch», schockiert, als sie vom Unfall hörte. Es stellte sich ihr die Frage: Darf man das? Einen Film über einen Verschollenen drehen? Konrads Hinterbliebene gaben ihr grünes Licht, und sie fühlte (wenn auch nicht sofort): Ja, das möchte ich machen.
Und so wurde «Der Eismann» eine Art Sequel zu «Sila» und eine Hommage an einen grossen Forscher. An den Solothurner Filmtagen im letzten Januar war der Film für den Prix Public nominiert.
Er handelt von Steffens Forschungen, vom Klima, und immer wieder geht es um die Magie des Eises. Koni sei «für diesen Platz gemacht» gewesen, heisst es im Film mehrmals. Gamma kann diese Faszination nachvollziehen.
«Das Eis ruft ein ähnliches Gefühl hervor, wie wenn ich aufs Meer hinaus schaue. Eis ist subtil, es ist einfach. Und dennoch gibt es darin Faktoren, die man nicht sieht, aber spürt. Ich glaube, das war auch Konis Antrieb: Erforschen, was man nicht sehen kann.» Das Eis, sagt sie auch, sei wie ein stiller Freund, dem man die Worte aus der Nase ziehen muss.
Konrad Steffens Erbe – Leidenschaft für Klimaforschung lebt weiter
Was bleibt von Koni? Viel mehr, als der Gletscher, der nach ihm benannt worden ist. Mehr als das Forschungslager «Swiss Camp» auf Grönland, das formell als ETH/CU Camp bezeichnet wird, sowie das Messnetz, das Messungen für hochrelevante Klimaforschung erlaubte. «Seine Leidenschaft», sagt Corina Gamma, «seine Leidenschaft hat sich auf alle, die ihn kennen, übertragen. Das lebt weiter, Koni ist präsent.»
Einer seiner Wegbegleiter sagt im Film, es gebe keine zwei Tage, an denen er nicht an Konrad Steffen denke. Ähnlich ergeht es der Regisseurin: «Spricht jemand von Grönland, kommt er mir in den Sinn. Er war die Referenz dafür, für viele bleibt das so.»
«Er war dort, wo er sein wollte», heisst es im Film. «Dass er nun im Eis begraben ist, hat uns alle, die ihn kannten, auch ein wenig aufgerüttelt. Er wollte ja immer auf den Zerfall des Eises aufmerksam machen», sagt Gamma, «und das hat er damit erreicht.» Trotz allem: Sein Verschwinden im Eis hat für sie auch etwas Poetisches. «Er wird wohl eines Tages auf Eis ins Meer hinausgetragen werden. Koni liebte Eisberge. Ich finde das schön.»
Ein Jahr nach Steffens Tod musste das «Swiss Camp» aufgegeben werden, da der Eisschild durch die zunehmende Schmelze und die wachsenden Gletscherspalten zu instabil und gefährlich für die Wissenschaftler geworden war.*
*Dieser Text von Nina Kobelt, Keystone-SDA, wurde mithilfe der Gottlieb und Hans Vogt-Stiftung realisiert.