Von Bluesrock bis Country-Soul: Williams, Lynne, Ford
An der Schnittstelle von Bluesrock, Folkpop und Country-Soul glänzen drei nordamerikanische Singer-Songwriterinnen mit neuen Alben: Lucinda Williams, Shelby Lynne und Frazey Ford.
Das Wichtigste in Kürze
- Wer schon ein paar Jahre mehr Lebenserfahrung erworben hat als all die derzeit angesagten jungen Sängerinnen in den Charts und Playlists, der hat auch mehr zu erzählen.
Drei dieser gereiften Songschreiberinnen haben neue Musik veröffentlicht: Lucinda Williams, Shelby Lynne und Frazey Ford.
Wut und Hoffnung: Lucinda Williams
«You Can't Rule Me» singt die mittlerweile 67-jährige, äusserlich viel jünger daherkommende dreifache Grammy-Preisträgerin aus Louisiana gleich zu Beginn in ihrem typischen «Southern Drawl». Es ist der Opener zu einem Album, das die Singer-Songwriterin mit der bisweilen nach einem weiblichen Tom Waits klingenden Stimme auf dem Gipfel ihrer Kunst als Bluesrock-Musikerin zeigt.
Mit «Man Without A Soul» nimmt Lucinda Williams voller Wut und Hoffnung auf bessere Zeiten US-Präsident Donald Trump ins Visier: «You bring nothing good to this world/Beyond a web of cheating and stealing/You hide behind your wall of lies/but it's coming down/yeah, it's coming down».
Auch in anderen Liedern dieser grandiosen Roots-Platte schwankt sie zwischen Trauer und Zorn, Trotz und Aufbruchstimmung. Wie immer lohnen Williams' Texte das genaue Hinhören: Die teilweise von Ehemann Tom Overby mitgeschriebenen und mitproduzierten Lieder erzählen viel über die Sängerin selbst, aber auch über den Zustand ihres Landes.
Schon mit den gefeierten Doppelalben «Down Where The Spirit Meets The Bone» (2014) und «The Ghosts Of Highway 20» (2016) hatte sich Williams ein Stück weit vom Alternative-Country ihrer frühen und mittleren Künstlerjahren emanzipiert. Deren Höhepunkt war «Car Wheels On A Gravel Road» - der hochverdiente Durchbruch für die damals 45 Jahre alte Musikerin. Schwache Platten hat sie seitdem nicht gemacht.
Gleichwohl ist das gitarrenwuchtige, aber auch in den Balladen hochintensive «Good Souls Better Angels» (Highway 20/Thirty Tigers/Membran) ein weiterer Höhepunkt ihrer Karriere - und hoffentlich der Beginn eines ebenso starken Alterswerks.
Melancholie und Aufbruch: Shelby Lynne
Ebenfalls im Süden der USA - in Alabama - wuchs diese Singer-Songwriterin auf, auch ihr Durchbruch liegt nun rund 20 Jahre zurück, mit dem zu Recht selbstbewusst betitelten Meisterwerk «I Am Shelby Lynne» (2000). 1986 hatte sie zusammen mit der später ebenfalls als Countrypop-Musikerin erfolgreichen Schwester Allison Moorer ansehen müssen, wie ihr Vater zunächst ihre Mutter und dann sich selbst tötete. Diesen Schock hörte man Lynnes Liedern lange Zeit an, eine gewisse Melancholie klingt bis heute durch.
Das nun ebenfalls als Ausrufezeichen gedachte Album «Shelby Lynne» (Everso Records/Thirty Tigers/Membran) glänzt wieder mit nachdenklichen, manchmal traurigen Liedern. Dass die Sängerin auf dem Cover mit Mundschutz zu sehen ist - wohl ein Zufall. Denn die Dusty-Springfield-Verehrerin öffnet sich in ihren zwischen Folk, Pop und Sixties-Soul pendelnden Songs zu neuer Hoffnung («Love Is Coming») und grösserer Extrovertiertheit («Here I Am»).
«Als Künstlerin macht es mir nichts aus, 'nackt' zu sein», sagt Shelby Lynne, zu deren Schauspielrollen die Rolle der Mutter von Johnny Cash im Oscar-gekrönten Film «Walk The Line» gehörte. «Es ist an der Zeit, sich hinter nichts zu verstecken.» Die sparsam instrumentierte Platte der mittlerweile 51-Jährigen stellt ihre wunderbar klare Stimme ins Zentrum.
Nach «I Can’t Imagine» (2015) und dem Schwestern-Album «Not Dark Yet» mit Alison Moorer (2017) schlägt die 2001 mit einem Newcomer-Grammy geehrte Musikerin ein neues Kapitel auf.
Schwarz und weiss: Frazey Ford
Noch stärker als Lynne hat sich diese Kanadierin - einst Mitglied des Country-Folk-Trios The Be Good Tanyas - dem klassischen Memphis-Soul zugewandt. Auch ihr merkwürdigerweise im Prince-Stil benanntes drittes Studioalbum «U Kin B The Sun» (Arts & Crafts) klingt, als wäre es mitten in den 60er Jahren im Herzen der US-Südstaaten aufgenommen worden: warme Vintage-Grooves von Bass und Schlagzeug, Orgel und Piano statt moderner Keyboards, erdige Gitarren - und über all den sorgfältig nachgebauten Klangkulissen die helle Stimme der 47-jährigen Frazey Ford.
Dass sich diese Sängerin nicht wirklich «schwarz» anhört (sondern eher nach einer Joni Mitchell, die mit einigem Tremolo Gospel-Soul nachempfindet), ist kein Nachteil. Das war auch bei Chan Marshall alias Cat Power kaum anders, als die vor 15 Jahren mit Cracks der Südstaaten-Musik ihr bestes Album «The Greatest» aufnahm. An diese Platte erinnert Fords neues Werk durchaus angenehm, ohne ganz die Klasse des Vorbildes zu erreichen. Aber auf dem Weg vom Americana-Folk mit den Be Good Tanyas zu einem erdigen, emotionalen Country-Soul ist «U Kin B The Sun» für die Neo-Hippie-Dame aus Vancouver ein ganz wichtiger Schritt.