Wie Kai Diekmann einem Komponisten nachspürt

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Deutschland,

Vor genau 100 Jahren starb der Komponist von «Hänsel und Gretel», Engelbert Humperdinck. Der ehemalige «Bild»-Chef Kai Diekmann hat eine besondere Beziehung zu dem Musiker aus der Kaiserzeit entwickelt.

Kai Diekmann übergab der Stadt Siegburg Tagebücher von Wolfram Humperdinck. Foto: Roberto Pfeil/dpa
Kai Diekmann übergab der Stadt Siegburg Tagebücher von Wolfram Humperdinck. Foto: Roberto Pfeil/dpa - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Kai Diekmann glaubt eigentlich nicht an Schicksal und solche Sachen.

Aber bei dem, was er in letzter Zeit erlebt habe, könne man schon etwas Gänsehaut bekommen, sagt der ehemalige Chefredakteur von «Bild». Es geht um ein altes Haus am Meer. Um einen berühmten Komponisten. Und um einen Tagebuchfund.

Es begann alles mit der Villa «Meeresstern» in Heringsdorf auf Usedom. 2015 kauften Diekmann und seine Frau Katja Kessler das strahlend helle Anwesen aus dem 19. Jahrhundert und pendeln seitdem zwischen ihrem Hauptwohnsitz in Potsdam und dem Feriendomizil an der Ostsee. Bald stiess Diekmann darauf, dass die Villa im Jahr 1906 einen prominenten Gast beherbergt hatte: Engelbert Humperdinck (1854-1921), den Schöpfer von «Hänsel und Gretel», einer der meistgespielten Opern der Welt. Sie gehört zur Vorweihnachtszeit wie der Geruch von Spekulatius und brennenden Kerzen.

Bei Diekmann war der journalistische Jagdinstinkt geweckt. Er tauchte sozusagen vor Usedom und beförderte dabei manch kleinen Schatz an die Oberfläche: Auf einer Auktion ersteigerte er ein Poesiealbum von Humperdincks Schwester Ernestine, die mit 17 Jahren an Tuberkulose gestorben war. In dem Album fand sich die zweitälteste Komposition Humperdincks mit dem Titel «Erinnerung». Im März übergab er beides als Leihgabe für eine Ausstellung an Humperdincks Geburtsstadt Siegburg. Dort gedenkt man in diesem Jahr seines 100. Todestags an diesem Montag (27.9.).

Am Samstag war Diekmann abermals in Siegburg. Diesmal überliess er dem Stadtarchiv als Dauerleihgabe 48 vergilbte Kladden voller handschriftlicher Notizen mit Füllfederhalter, oft in sichtlicher Eile aufs Papier geworfen. Es sind die Tagebücher von Humperdincks Sohn Wolfram aus den Jahren 1933 bis 1983. Wolfram Humperdinck (1893-1985) war gleichsam der Lordsiegelbewahrer seines Vaters: Als Regisseur und Intendant setzte er sich zeitlebens für dessen Werk ein und schrieb eine bis heute massgebliche Biografie.

Diekmann hat die Tagebücher aus der Familie erworben, ihre Existenz war bisher nicht bekannt. Eine erste Sichtung habe ergeben, dass sie eine wichtige Fundgrube nicht nur für die Humperdinck-Rezeption während der Nazi-Zeit und danach, sondern auch für das Musik- und Kulturleben dieser Zeit allgemein seien, sagt Christian Ubber, Leiter der Musikwerkstatt Engelbert Humperdinck in Siegburg. Bei der Auswertung dürfte es auch um die Frage gehen, ob Wolfram Humperdinck mit den Nazis zusammengearbeitet hat.

Diekmann hat mittlerweile das Gefühl, wie durch unsichtbare Fäden mit der Musiker-Familie aus einer lang versunkenen Zeit verbunden zu sein. «Frappierend war zum Beispiel Folgendes», erzählt er. «Ich schlage eines der Tagebücher auf, und da ist ständig von "Yella" die Rede. Das hat mich wie der Blitz getroffen, denn unsere älteste Tochter heisst auch Yella. Für mich kam nie ein anderer Name infrage.»

Wer die Yella aus dem Tagebuch war, wusste er zunächst nicht. Bis ihm ein Urenkel des Komponisten verriet, dass Wolfram Humperdinck seine Frau Gabriele so genannt habe. Ein anderes Erlebnis dieser Art hatte Diekmann, als ihm eine Postkarte in die Hände fiel, die Engelbert Humperdinck 1916 mitten im Ersten Weltkrieg während eines weiteren Aufenthalts in der Villa «Meeresblick» auf Usedom an Sohn Wolfram geschrieben hatte. Dessen Adresse lautete: Türkstrasse 8, Potsdam. «Das ist hier bei uns gleich um die Ecke», sagt Diekmann. «Humperdinck befindet sich also in unserem heutigen Ferienhaus und schreibt quasi an unseren Hauptwohnsitz. Das ist doch wieder ein unglaublicher Zufall.»

All das habe ihm vor Augen geführt, dass es eine besondere Qualität habe, über Originalquellen mit dem Denken und Fühlen von Menschen aus anderen Epochen konfrontiert zu werden. «Es ist wirklich ein ganz tolles Gefühl, diese Tagebücher in den Händen zu halten.»

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