Yasmina Reza: «Serge» macht Ausflug nach Auschwitz
Im Roman «Serge» verbindet die französische Autorin Yasmina Reza das Porträt einer Familie mit Fragen nach Identität, Schweigen und Erinnerungskultur.
Das Wichtigste in Kürze
- Yasmina Reza hat ihren neuen Roman «Serge» publiziert.
- Die Autorin schreibt über eine Familiengeschichte und deren jüdische Identität.
- Gleich auf den ersten 20 Seiten gibt es eine Schlüsselszene.
Nach der Beerdigung der Mutter haben sich die Geschwister Popper samt Angehörigen und wenigen Freunden in einem Café zusammengesetzt.
Enkelin Josephine mokiert sich darüber, dass die Oma sich habe einäschern lassen. Das machte sie als Jüdin, «nach allem, was ihre Familie durchgemacht hat». Und sie kündigt an, sie werde «dieses Jahr nach Osvitz fahren».
Yasmina Reza stellt absurde Zuspitzungen dar
Josephines Vater, Roman-Titelfigur Serge, tobt: «Osvitz!! Wie die französischen Goys! Lern erst mal, das richtig auszusprechen. Auschwitz! Auschschschwitz!» Das setzt den Ton dieser immer wieder absurd zugespitzten Familiengeschichte.
Neben Befindlichkeiten und Problemen thematisiert Yasmina Reza den Umgang der zweiten und dritten Generation mit der Familiengeschichte. Über diese Geschichte wurde in der Familie Popper ebenso geschwiegen, wie über die jüdische Identität: Keine Bar Mitzwa für die Söhne, das letzte Familientreffen mit der Mutter zum Dreikönigskuchen.
Man könne nicht behaupten, den Eltern viele Fragen gestellt zu haben, sagt Serge während des Familienausflugs nach Auschwitz. Josephine, ihr Vater Serge, der Onkel und Ich-Erzähler Jean und die Tante Nana haben Serge auf ihrem Ausflug begleitet. Dabei wussten sie, dass fast alle Angehörigen in Auschwitz ermordet wurden. Waren es die Eltern, die sich das Schweigen auferlegt haben, oder haben sie auf Fragen gewartet?
Messerscharfe Beobachtungen
Auch im Umgang mit dem Vernichtungslager, heutige Touristenattraktion, in der Menschen in bunten Kleidern herumlaufen, unterscheiden sich die Familienmitglieder. Nana ist nach dem Anblick der Gaskammer aufgewühlt und betroffen. Serge schwitzt im guten Anzug, gibt sich aber betont unbeteiligt. Josephine fotografiert in einem Fort, als helfe die Kamera, Distanz zum Ort und seiner Geschichte zu schaffen.
Jean reflektiert den Besuch am Grab der unbekannten ungarischen Verwandten, von denen er und seine Geschwister nie etwas gehört hatten: «Das war unsere Familie, sie waren gestorben, weil sie Juden waren. Sie hatten das Verhängnis dieses Volkes erlebt, dessen Vermächtnis wir trugen. In einer Welt, die sich an dem Wort "Gedenken" berauschte, wirkte es ehrlos, nichts damit zu tun haben zu wollen.»
Mal überdreht und voller Komik, mal nachdenklich und messerscharf. Beobachtend sind die Szenen von Yasmina Reza einer Familie zwischen Entfremdung, Schweigen und der Suche nach einem verbindenden Element. Ob Identität oder der Umgang mit Alter und Krankheit, der eigenen Endlichkeit und der Suche nach dem, was bleibt: In diesem Buch zeigt Yasmina Reza, dass sie die schrillen wie auch die leisen Töne beherrscht.